Geben und Nehmen – in vier Schritten zum Ausgleich

Hochsensible Menschen sind oft überdurchschnittlich empathisch und geben deshalb gern. Aufgrund unserer erniedrigten Reizschwelle sind wir weniger abgegrenzt als andere und erfassen deshalb mühelos, wie es anderen geht und was sie jetzt brauchen. Außerdem wissen wir auch intuitiv meist sehr schnell und gut, was zu tun ist. Häufig werden wir deshalb auf die Rolle des Gebenden abonniert. Doch es ist wichtig, Geben und Nehmen im Gleichgewicht zu halten. Denn nur, wenn ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen herrscht, kann ich wirklich dauerhaft geben, weil ich meine Energie so langfristig aufrecht erhalten kann. Mit dem Nehmen tun sich aber viele Hochsensible etwas schwer. Wenn eine Klientin oder ein Klient ein Coaching neu bei mir anfängt, höre ich oft Sätze wie „Oh, so viel Zeit für mich, das bin ich nicht gewohnt“, „Fühlt sich komisch an, dass jemand für mich da ist, normalerweise bin ich immer für die anderen da“ oder „Es fällt mir schwer, mir Zeit für mich einzuräumen, das muss ich erst lernen“. Deswegen möchte ich zuerst einige Gedanken zum Geben und Nehmen festhalten, damit klar ist, worauf man bei Hochsensibilität achten darf, um ausreichend für sich zu sorgen, Enttäuschungen zu vermeiden und gewissen Fallen rechtzeitig ausweichen zu können, bevor ich dann einen 4-Schritte-Ausgleich zum Geben und Nehmen vorschlage.

Geben und Nehmen sind eins!

Der größte Irrtum bezüglich Geben und Nehmen, der nicht nur bei Hochsensibilität auftritt, sondern allgemein sehr weit verbreitet ist, ist der, dass Geben „gut“ und Nehmen „schlecht“ sei. Geben ist seliger denn Nehmen ist in unserer christlich geprägten Kultur ein wichtiger Leitsatz. Dieser Satz zielt darauf ab, den Egoismus hinter sich zu lassen und die Freude, etwas geben zu können, andere glücklicher zu machen oder ihnen zu helfen, zu genießen. Doch oft wird er eben so interpretiert, dass man nur dann ein „guter“ Mensch ist, wenn man in vollkommener Bedürfnislosigkeit verharrt und dabei überströmend gibt. Und das kann nicht funktionieren.

Denn was Geben und Nehmen betrifft, sind Menschen weniger voneinander abgegrenzt, als es scheint. Z.B. eine Mutter (oder ein Vater!), die selbst von ihren Eltern in ihren Begabungen nicht gefördert worden ist, jetzt aber ihren Kindern genau das geben möchte, hat es extrem schwer, wenn sie sich vorher nicht um sich selbst kümmert. Denn immer, wenn sie ihre Kinder fördert, wird sie daran erinnert, dass ihr selbst das nicht zuteil geworden ist. Sie muss sich dann zusammenreißen und mental eine dicke Mauer zwischen ihre eigene Vergangenheit und ihre Kinder bauen. Wenn ihr das nicht gelingt, wird sie gar nicht in der Lage dazu sein, ihren Kindern in dieser Hinsicht etwas zu geben. Und wenn es ihr gelingt, verbraucht allein das schon so viel Energie, dass zur Förderung ihrer Kinder nicht mehr viel Kraft übrig bleibt.

Wenn diese Mutter (oder dieser Vater) jetzt etwas für sich selber tut, die Schmerzen aus der Vergangenheit auflöst und sich darum kümmert, die bestmögliche Förderung zu erlangen, die heute möglich ist, geht sie ihren Kindern erstens mit gutem Beispiel voran, zweitens kann sie ihre Kinder dann auch aus vollem Herzen fördern, ohne dabei ständig von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Wie Du solche Schmerzen aus der Vergangenheit auflösen kannst, erfährst Du in meinem Artikel EFT – emotionale Befreiung für Hochsensible.

Je näher wir anderen Menschen stehen, desto mehr fällt Geben und Nehmen in Eins. Wenn etwas schlecht für Dich ist, kann es nicht gut für die Welt sein, denn Du bist Teil dieser Welt! Der Gedanke, dass Du anderen nur etwas gibst, wenn Du Dich ich selbst dabei aufopferst, ist eine Milchmädchenrechnung, die die tiefergehenden Gegebenheiten zwischenmenschlicher Beziehungen außer Acht lässt.

Haupt-Falle Nr. 1: Geben, um Nähe aufzubauen

Eine typische Falle, in die hochsensible Menschen gern tappen, ist, dass sie nicht geben, weil sie gerade Freude daran haben, sondern weil sie Geben als Möglichkeit sehen, um Nähe aufzubauen. Da Hochsensible eine Minderheit darstellen, fällt es ihnen oft schwer, die Nähe zu anderen zu empfinden, die sie sich wünschen, weil die Mehrheit ein wenig anders tickt. Doch wenn andere unsere Hilfe benötigen und in Anspruch nehmen, sind sie einfach offener, und es entsteht genau die Nähe, nach der sich hochsensible Menschen sehnen.

Die Gefahr an dieser Art des Gebens besteht darin, dass man so schnell auf die Rolle des Gebenden abonniert wird. In der Folge zieht man Menschen an, die einen ausnutzen. Wenn man einmal nicht in der Lage ist zu geben, wenden sich diese Menschen von einem ab, was wiederum die Illusion verstärkt, dass man Nähe nur haben kann, wenn man etwas gibt. Das kann zu einem regelrechten Teufelskreis führen, in dem man sich missbrauchen lässt und sich als Konsequenz sehr verausgabt, was bis hin zum Burnout gehen kann.

Doch auch hier sind Geben und Nehmen wieder eins: Wenn ich einem Menschen, der andere ausnutzt, etwas gebe, gebe ich ihm gar nichts, da ich ihn dadurch nur in seiner ausnutzenden Art bestätige. Einem solchen Menschen hilft es in Wirklichkeit nur weiter, wenn ich ihm klare Grenzen setze, denn nur so kann er etwas lernen.

Haupt-Falle Nr. 2: Geben, was man eigentlich haben möchte

Was mir in meinen Coachings auch hin und wieder begegnet, sind Menschen, die das geben, was sie eigentlich haben möchten. Sie gehen dabei sehr stark in Vorleistung und überschütten einen geradezu. Doch sie tun das nicht, weil sie gerade Freude am Geben haben, sondern weil sie in Wirklichkeit selbst bedürftig sind und einem zeigen wollen, was sie brauchen.

Das wird natürlich vom Gegenüber in der Regel nicht verstanden. Auch diese Art von Geben zieht Menschen an, die das ausnutzen. Außerdem gibt ein solcher Geber nicht das, was der andere braucht, sondern das, was er selbst eigentlich benötigt. Dadurch wendet er eine Menge Energie auf und lebt in der Illusion, etwas gegeben zu haben, was aber gar nicht der Fall ist. Am Ende steht die Enttäuschung darüber, nicht das zurückbekommen zu haben, was man gegeben hat.

Solche Menschen haben oft Hemmungen, ihre Bedürfnisse zu äußern. Es ist aber sehr wichtig, zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen und diese auch auszusprechen. Dann ist die Chance bedeutend größer, das zu bekommen, was man braucht. Wie Du besser zu Deinen Bedürfnissen stehen kannst, erfährst Du in meinem Artikel Hochsensibilität, Selbstliebe und Energie. Und wer das bekommt, was er braucht, ist am Ende viel mehr dazu in der Lage, wiederum anderen etwas zu geben. Und da ist er schon wieder, mein postulierter Grundsatz: Geben und Nehmen sind Eins!

Geben und Nehmen – Ausgleich in 4 Schritten

  1. Achte darauf, dass Dein Energiehaushalt ausgeglichen ist. Du kannst Deine besondere Qualität als hochsensibler Mensch nur dann langfristig in die Welt bringen, wenn Du gut dafür sorgst, dass Deine Bedürfnisse erfüllt werden.
  2. Befreie Dich von Energievampiren, die Dich ausnutzen. Du tust niemandem einen Gefallen damit, wenn Du Dich ausnutzen lässt. Menschen, die andere ausnutzen, müssen lernen, dass das nicht in Ordnung ist. Das ist das Beste, was Du ihnen geben kannst, auch wenn sie das im Moment nicht verstehen werden.
  3. Beachte Deine Grenzen: Wieviel Energie hast Du tatsächlich? Das ist Deine Energie und Du darfst damit machen, was Du willst! Anderen etwas geben kannst Du, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich erstens, dass Du die dafür nötige Energie tatsächlich zur Verfügung hast, und zweitens, dass Du auch Lust darauf hast, diese Hilfe zu leisten. Wie Du Dich in dieser Hinsicht präzise abgrenzen kannst, erfährst Du in meinem Artikel In drei Schritten zu mehr Abgrenzung bei Hochsensibilität.
  4. Achte auf die Energie, die Du beim Geben spürst! Geben macht Freude, wenn es eine Energie ist, die weiterfließen und etwas bewirken kann. In diesem Fall gibt einem das Geben an sich schon etwas zurück. Fühlt es sich hingegen schwer und bleiern an, stimmt etwas nicht. Dann darfst Du die Punkte 1. bis 3. noch einmal genauer überprüfen.

Geben und Nehmen im großen Bogen gedacht…

Geben und Nehmen sind also keine zwei gegensätzlichen Pole, sondern fallen mehr in eins, als es oberflächlich gesehen der Fall ist. Es lohnt sich, ein Bewusstsein für ein Geben und Nehmen zweiter Ordnung zu entwickeln, d.h. nicht das zu geben oder zu nehmen, was vordergründig nötig erscheint, sondern einen Schritt weiter zu denken und einen größeren Bogen zu spannen.

Wenn jemand etwas von Dir fordert, muss das nämlich nicht heißen, dass es wirklich gut für ihn ist, wenn Du demjenigen genau das gibst. Vielleicht stecken andere Bedürfnisse dahinter, vielleicht gibt es dem Fordernden auch mehr, wenn Du ihm eine Grenze setzt…

Und oft ist es so, dass man jemandem viel gibt, wenn man etwas von ihm nimmt. Menschen haben nämlich auch das Bedürfnis, etwas geben zu wollen. Im Geben erfahren sie sich als sinnhaft und stark. Nicht nur Geben baut Nähe auf, sondern auch das Nehmen können, weil das dem Gegenüber die Möglichkeit gibt, sich gebraucht zu fühlen. In dieser Hinsicht wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern viel Freude beim Geben und Nehmen! :-)

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2 Gedanken zu „Geben und Nehmen – in vier Schritten zum Ausgleich“

  1. Hallo Barbara

    das Wort Energievampire passt da sehr gut zu, sie saugen einen wirklich aus ohne etwas davon zurückzubekommen:-)

    LG Jens

    Antworten
    • Hallo Jens,

      genau, die Energie „versackt“ und kann nicht fließen, es fühlt sich sehr unangenehm an…

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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