Hochsensibilität und Spiritualität Teil 1 – Wahrheit

Spiritualität ist die bewusste Verbindung mit dem, was größer ist als wir selbst – dem Sinn, der Stille, dem Leben, das uns trägt. Spiritualität heißt, sich mit Tiefe, Sinn und Verbundenheit zu beschäftigen – über das rein Äußerliche hinaus. Hochsensible Menschen erleben die Welt intensiver – ihre Wahrnehmung geht tiefer, ist feiner und offener. Spiritualität bietet uns einen inneren Kompass, um diese Tiefe zu verstehen, zu ordnen und als Geschenk zu erleben. Für Hochsensible ist Spiritualität wie ein innerer Raum der Balance – sie hilft, Sinn zu finden, Empfindsamkeit zu erden und Stärke aus der eigenen Tiefe zu schöpfen. Dabei hat jede hochsensible Person ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Zugang. Bei mir war es so, dass mein Onkel in den 1960er Jahren nach Indien gereist ist, um sich dort bei einem Guru zum Meditationslehrer ausbilden zu lassen. Als er zurückkehrte, führte er die ganze Familie in die Meditation ein. Da ich damals erst 3 Jahre alt war, zeigte er mir eine spezielle Kindermeditation, die man auch während man spielte oder auf dem Schulweg anwenden konnte. So kommt es, dass ich heute auf über 55 Jahre Meditationserfahrung zurückblicken darf.

Ich bin multireligiös aufgewachsen. In meiner Familie wurde die indische Yoga-Tradition gepflegt. Als ich 5 Jahre alt war, nahm mich meine Mutter schon auf Retreats mit, wenn der Guru nach Deutschland kam. Getauft wurde ich evangelisch und als ich in die Schule kam, bekam ich über den Religionsunterricht erste Einblicke in das Christentum. Später befasste ich mich immer wieder intensiv mit dem Buddhismus, mit dem Christentum und weiteren Religionen und spirituellen Strömungen. Besonders geprägt hat mich das I Ging, ein uraltes chinesisches Weisheitsbuch.

Dabei machte ich auch die Erfahrung, dass Spiritualität und Religion große Streitthemen sein können. Aus diesem Grund hielt ich mich damit lange zurück. Ich wollte mich in meiner Arbeit  auf das konzentrieren, was wir alle gemeinsam haben. Doch vor Kurzem wurde mir bewusst, dass diese Wissenschaftlichkeit, die mir so wichtig ist, eigentlich ein Teil dieser höheren Wahrheit ist, die uns alle verbindet. Alles, was ich bisher schrieb, ist in dieser Hinsicht tief spirituell, wenn auch bislang eher im Verborgenen. Deswegen möchte ich nun offen über mein spirituelles Credo schreiben – Güte, Weite, Wahrheit.

Warum Güte, Weite und Wahrheit die Grundlagen aller Spiritualität bilden

Meine erste Berufstätigkeit als junge Frau war Gesangslehrerin und Chorleiterin. Ich leitete u. a. einen kleinen Dorfchor in der Südpfalz, der den Choral „Herr, deine Güte reicht so weit“ sang. Dieser Choral hat mich damals tief bewegt und meine Spiritualität sehr geprägt. Erst viel später erfuhr ich, dass dieser Text aus einen biblischen Psalm stammt:

Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken ziehen.

Psalm 36, 6-10

Meine Interpretation dieser Textstelle findet aber nicht vor einem christlichen Hintergrund statt, sondern auf der Basis meiner eigenen tiefgehenden spirituellen Erfahrung seit 1969. Für mich lässt sich das universelle Licht und unser Zugang dazu auf diese drei Begriffe zusammenfassen: Güte, Weite, Wahrheit. Das war auch lange Zeit ein Mantra für meine Meditation und ich greife auch heute immer wieder gern auf dieses Mantra zurück.

In diesem Blog-Artikel beginne ich mit der Wahrheit, weil sie die Grundlage für alles weitere bildet. In Teil 2 meiner Artikelserie zur Spiritualität werde ich über Güte und Liebe schreiben, in Teil 3 dann über Weite und Freiheit. Denn keiner dieser drei Aspekte des universellen Lichts ist ohne den anderen denkbar.

Was ist Wahrheit?

Ich möchte an dieser Stelle nicht in einen philosophischen Diskurs einsteigen, der mit Sicherheit nicht auflösbar wäre. Stattdessen geht es mir darum, eine ganz alltagspraktische Definition zu geben, die dir dabei hilft, deinen spirituellen Weg zu gehen:

  • Wahrheit ist das, was wir über unsere 5 Sinne aufnehmen (so beschränkt diese Möglichkeit auch sein mag), ohne dass wir werten oder interpretieren.
  • Wahrheit ist das ehrliche Erkennen und Annehmen dessen, was ist – in uns selbst, in anderen und im Leben.
  • Wahrheit bedeutet, die Wirklichkeit ohne Schleier zu sehen – mit offenem Herzen, voller Mut und ohne Selbsttäuschung.
  • Wahrheit ist der Boden, auf dem Güte und Liebe (Teil 2) wachsen können, und öffnet letztlich den Raum für Weite und Freiheit (Teil 3).

Der rosa Elefant oder warum der Verstand keine Wahrheit besitzt

Viele meinen, dass die Wahrheit in unserem Verstand liegt, weil dieser im Gegensatz zu unseren Gefühlen und Emotionen so objektiv zu sein scheint. Doch das stimmt nicht. Unser Verstand ist ein logisches Werkzeug und braucht als Basis immer eine Grundannahme, auf der er eine in sich schlüssige Logik aufbauen kann.

Ein Beispiel: Wenn ich davon ausgehe, dass 1+1=2 ist, kann ich mit dem Verstand daraus eine in sich logische Mathematik ableiten, die sehr hilfreich für uns ist. Aus dem Satz 1+1=3 ginge das aber genauso, nur dass eine aus diesem Satz abgeleitete Mathematik komplett unsinnig wäre.

Das zeigt, dass der Verstand keine Wahrheit besitzt. Er muss immer etwas Wahres als Grundlage bekommen, um daraus eine hilfreiche Logik ableiten zu können. Ist die Grundlage falsch, kann das, was der Verstand daraus macht, in sich noch so logisch sein, es bleibt Unsinn.

Viele kommen zu mir ins Coaching und wollen das „richtige“ Verhalten in einer schwierigen Situation vom Verstand her ableiten. Doch das ist nicht möglich. Dazu ist der Verstand viel zu beliebig. Es könnte so richtig sein, aber auch so… Was „stimmt“ denn jetzt, was soll ich nur tun? Der Verstand kann sich eben einen rosa Elefanten vorstellen, obwohl es in Wahrheit gar keine rosa Elefanten gibt.

Wie kommst du also zum „richtigen“ oder besser gesagt zum bestmöglichen Verhalten in einer Situation? Indem du die Situation so annimmst, wie sie ist, deine damit verbundenen Gefühle als deine innere Wahrheit akzeptierst und dies deinem Verstand als Basis für weitere Schlussfolgerungen bietest. Er wird dir immer dienen, aber er kann nicht „wissen“, was wahr ist.

Wahrheit ist wie eine Grapefruit…

Eine Grapefruit schmeckt bitter und es kostet uns Überwindung, hineinzubeißen. Doch ihre Bitterstoffe regen unseren Körper zur Entgiftung an und ihre Vitamine stärken unsere körpereigene Abwehr. Sie ist einfach sehr gesund. Genauso ist es mit der Wahrheit: Sie kann bitter sein und uns weh tun. Es kann uns richtig schwer fallen, uns ihr zu stellen. Aber letztlich stärkt sie uns immer. Sie ist sogar in gewissem Sinne alles, was wir haben. Denn wenn etwas nicht wahr ist, existiert es überhaupt nicht. Und auf etwas, dass es gar nicht gibt, kann ich nichts Solides aufbauen. Deswegen ist  Wahrheit die Grundlage allen Fortschritts.

Viele suchen nach Gott, nach dem universellen Licht oder wie auch immer du es nennen magst. Das Licht ist immer da. Viele denken, dass Gott sie verlassen würde. Doch wenn etwas wahr ist und wir schaffen es nicht, uns dem zu stellen, weil es in diesem Moment vielleicht zu weh tut, sind wir nicht im Licht. Wir treten selbst aus dem Licht heraus in den Schatten. Und da das Licht auch immer pure Liebe ist, würde es uns niemals daran hindern oder uns gar verfolgen. Wir selbst sind es, die Gott verlassen, wenn wir die Wahrheit nicht sehen wollen.

Bei bestimmten unbequemen und schmerzlichen Wahrheiten kostet es uns viel Mut, uns diesen zu stellen. Aber wenn wir es tun, sind wir wieder im Licht, haben wir wieder den Boden der Realität unter den Füßen, stehen mit allen guten Kräften des Weltzusammenhangs in Verbindung und können unseren Weg gehen. Das Wunder darf geschehen.

Warum Wahrheit uns verbindet

Erinnerst du dich noch an den rosa Elefanten am Anfang des Artikels? Er ist das Sinnbild dafür, dass der Verstand beliebig ist. Im Verstand ist alles möglich. Wir können uns dort vorstellen, was immer wir wollen. Vieles verfestigt sich dann auch zu unseren Vorstellungen davon, wie etwas zu sein hat. Und diese können zwischen Menschen hart aufeinander prallen. Lügen und Irrtümer sind das, was uns trennt, denn jeder lügt aus anderen Motiven und irrt sich aus anderen Gründen. Die Liste der Lügen und Irrtümer ist also unendlich lang und diese lassen sich niemals unter einen Hut bringen.

Doch die Wahrheit, das, was wirklich ist, haben alle Menschen gemeinsam. Wenn das, was wir denken und wollen auf die Wahrheit ausgerichtet ist, sind wir gleichzeitig bei dem, was uns alle verbindet. So kann menschliche Gemeinschaft gelingen.

Wenn wir uns der Wahrheit zuwenden, treten wir aus der Trennung heraus und in die Verbundenheit hinein. Wir hören auf, gegen die Wirklichkeit zu kämpfen, und beginnen, mit ihr zu fließen. Das ist kein leichter Weg – manchmal erfordert er Mut, Demut und die Bereitschaft, alte Überzeugungen loszulassen. Doch gerade darin liegt die Kraft der Wahrheit: Sie befreit uns von Illusionen und macht uns innerlich weit.

Wahrheit ist wie ein stilles Licht, das uns den Weg weist, auch wenn andere ihn noch nicht sehen. Sie ist beständig – unabhängig davon, ob sie gefeiert oder bezweifelt wird.

Fazit: Wahrheit bleibt immer wahr

Wahrheit ist unerschütterlich. Sie hängt nicht davon ab, wie viele Menschen sie sehen, glauben oder bestätigen. Etwas wird nicht wahrer, weil viele daran glauben – und es wird nicht weniger wahr, nur weil wenige es erkennen. Wahrheit bleibt, was sie ist.

Gerade als hochsensible Menschen spüren wir oft, wenn etwas „nicht stimmig“ ist – auch dann, wenn unser Umfeld es anders sieht. Diese innere Resonanz ist ein Hinweis darauf, dass wir uns an der Wahrheit orientieren. Vielleicht stehen wir damit manchmal scheinbar allein, doch in Wirklichkeit stehen wir auf festem Boden.

Wahrheit ist kein Besitz, sondern ein Weg. Sie führt uns immer wieder zurück zu uns selbst, zu dem, was echt, lebendig und heilsam ist. Wenn wir uns ihr stellen, sind wir im Licht – verbunden mit allem, was ist. Und dieses Licht bleibt, genau wie die Wahrheit, immer gleich hell.

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