Viele Hochsensible leiden unter dem aktuellen Weltgeschehen und ertragen es kaum, sich die Nachrichten anzusehen. Auch ich habe das ganze Jahr über keine Nachrichten geschaut. Früher konnte ich das noch ertragen. Aber die Weltlage hat sich auf eine Weise entwickelt, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe. Doch jetzt hatte ich das Gefühl, mich dem Weltgeschehen zu sehr entzogen zu haben. Da habe ich mir den Jahresrückblick von Markus Lanz angesehen. Zwei Dinge haben mich besonders berührt: Erstens das Leid der Ukrainer, die von großen russischen Drohnen angegriffen werden, die jederzeit und überall einschlagen können. Zweitens das Erstarken einer rechtsextremen Partei in Deutschland. Solche Bilder, Worte und Stimmungen ziehen bei Hochsensiblen nicht einfach so vorbei, sie gehen mitten ins Herz. Doch es gibt einen Weg, wie du gut damit umgehst, ohne dich selbst dabei zu verlieren und ohne die Augen vollständig zu verschließen. Diesen möchte ich in diesem Blog-Artikel mit dir teilen.
Was für mich das Schlimmste daran ist

Ich spüre in mir einen starken Widerstand dagegen, mein Herz zu verschließen. Ich möchte nicht in eine innere Haltung rutschen, in der ich Menschen nur noch als „gut“ oder „böse“ einteile. Denn genau das würde mir etwas nehmen, das mir sehr wichtig ist: meine Fähigkeit, offen zu bleiben, zu fühlen und an das Menschliche zu glauben.
Gerade als hochsensibler Mensch ist diese Liebe zu den Menschen kein naives Ideal, sondern ein innerer Grundwert. Wenn wir diesen verlieren, verlieren wir nicht nur Hoffnung, sondern auch uns selbst. Deshalb schmerzt es so sehr, Menschen in zerstörerischen Rollen zu sehen – und gleichzeitig zu spüren, wie leicht man innerlich hart werden könnte.
Ich möchte diesen Schritt nicht gehen. Ich will sehen, was geschieht, ohne meine Liebe aufzugeben. Ich will klar wahrnehmen, ohne mein Herz zu verlieren. Und genau hier beginnt für mich die eigentliche Herausforderung im Umgang mit dem Weltgeschehen.
Vom inneren Raum, der trägt, ohne zu verhärten

Dieser Raum ist kein heller, leichter Ort. Er ist nicht tröstlich im klassischen Sinn. Er ist tief, still und ernst. Er hält Schmerz aus, ohne ihn wegzudrücken, und er bleibt offen, ohne naiv zu werden. In diesem Raum muss nichts sofort eingeordnet, bewertet oder gelöst werden. Alles darf da sein – das Entsetzen, die Traurigkeit, die Hilflosigkeit, aber auch die Liebe.
Das darf da sein. Ich muss nichts tun. Ich bleibe.
Ich habe gemerkt, dass dieser Raum nicht entsteht, indem man sich zusammenreißt oder „stark“ ist. Er entsteht, wenn man innerlich nicht ausweicht. Wenn man aufhört, sich gegen das zu stemmen, was einen erschüttert, und stattdessen innerlich sagt:
Ich bin da. Ich sehe. Ich bleibe.
Aus diesem Raum heraus verändert sich etwas Entscheidendes. Wir müssen nicht kämpfen, um klar zu sein. Wir müssen nicht ablehnen oder hassen, um Grenzen zu spüren. Wir müssen uns nicht verschließen, um handlungsfähig zu bleiben. Dieser Raum trägt – gerade weil wir darin alles so annehmen können, wie es ist. Und genau deshalb verhärtet er nicht.
Für hochsensible Menschen ist dieser Raum besonders wichtig. Er erlaubt uns, mit unserer Tiefe zu leben, statt gegen sie. Er ist kein Rückzug aus der Welt, sondern ein innerer Standpunkt. Einer, von dem aus wir sehen können, was ist, und trotzdem mit dem Menschlichen verbunden bleiben.
So bleibst du menschlich angesichts von Hass
Und dieses Verbunden-Bleiben mit dem Menschlichen ist keine leichte Aufgabe: Denn mit Hass konfrontiert zu werden, verändert uns, oft ohne dass wir es merken. Wir beginnen innerlich zu urteilen, uns zu verschließen und Menschen nur noch in „gut“ und „böse“ einzuteilen. Dabei verlieren wir nach und nach unsere Offenheit – und damit ein Stück unserer inneren Freiheit.
Ich sehe klar und lasse mein Herz trotzdem offen.
Um mich davon nicht bestimmen zu lassen, halte ich bewusst an meiner Menschlichkeit fest. Ich erlaube mir, klar zu sehen und trotzdem zu lieben. Ich weigere mich, mein Herz aus Angst oder Empörung zu schließen. So bleibe ich bei mir und lasse nicht zu, dass von außen kommender Hass entscheidet, wer ich innerlich werde.
Warum du mit dieser Haltung wirklich etwas bewirkst

Manche Menschen verändern die Welt durch Tun. Sie organisieren, konfrontieren, begrenzen. Andere verändern sie durch ihr Dasein. Sie halten etwas aufrecht, das in harten Zeiten leicht verloren geht: Menschlichkeit, Mitgefühl und innere Weite. Beides wird gebraucht.
Indem du dich weigerst, innerlich zu verhärten und abzulehnen, trägst du etwas sehr Wesentliches: Du hältst einen Raum, in dem nicht alles in Feindbilder zerfällt. Einen Raum, in dem Liebe, Differenzierung und Mitgefühl weiter möglich bleiben. Das wirkt leise, aber tief.
Gesellschaften zerbrechen nicht an falschen Entscheidungen, sondern daran, dass sie innerlich verarmen. Hochsensible Menschen, die menschlich bleiben, wirken diesem Prozess entgegen. Nicht durch Lautstärke, sondern durch Haltung. Nicht durch Gegenwehr, sondern durch Standhaftigkeit:
Ich bin nicht hier, um die Welt zu reparieren. Ich bin hier, um menschlich zu bleiben.
Vielleicht ist genau das dein Beitrag: da zu sein, zu sehen und zu bleiben. Und damit etwas zu tragen, das größer ist als du selbst – die Seele einer Gesellschaft, die sonst leicht verloren geht.



