Hochsensibilität und Spiritualität Teil 2 – Liebe und Güte

Im ersten Teil dieser Artikelserie habe ich über die Wahrheit geschrieben – über das ehrliche Wahrnehmen dessen, was ist, ohne Selbsttäuschung und ohne die Schleier des Wollens oder Fürchtens. Wahrheit ist der Boden, auf dem jede authentische Spiritualität steht. Wahrheit schenkt uns Klarheit, Orientierung und die Fähigkeit, das Leben so zu sehen, wie es wirklich ist. So können wir als hochsensible Menschen eine tiefe Spiritualität entwickeln, die uns erdet, statt abzuheben. Auf dieser Basis möchte ich nun weitergehen: zu Liebe und Güte. Dabei liegt es mir besonders am Herzen, zu zeigen, warum Liebe und Güte nicht im Gegensatz zur Wahrheit stehen, sondern aus ihr hervorgehen – und wie gerade wir als hochsensible Menschen in dieser Verbindung eine tiefe innere Kraftquelle finden. Denn nur dort, wo wir die Wahrheit anerkennen, kann echte Liebe entstehen, die auch wirklich trägt. Das kann die romantisierte, idealisierte Liebe unserer Wunschvorstellungen nicht leisten – sondern nur jene Liebe, die einen Menschen, eine Situation oder uns selbst in der Wirklichkeit sieht und annimmt. Güte ist die praktische Form dieser Liebe: der Impuls, fürsorglich zu handeln, heilsam zu reagieren und dem Leben wohlwollend zu begegnen.

Was ist Liebe – jenseits von Emotion oder Beziehung?

Wenn wir über Liebe sprechen, denken viele zuerst an Gefühle, an Nähe, an Beziehungen oder an romantische Bilder. Doch Liebe im spirituellen Sinn geht weit darüber hinaus. Sie ist weniger ein Gefühl als vielmehr eine bewusste Haltung zum Leben.

Liebe ist die Fähigkeit, sich von dem, was ist, berühren zu lassen.
Sie entsteht dort, wo wir die Wahrheit nicht nur erkennen, sondern sie auch mit offenem Herzen annehmen. Liebe ist die Antwort des Herzens, das Wahrheit empfangen hat. Echte Liebe ist also kein Gefühl, das kommt und geht. Sie ist eine Haltung: die Bereitschaft, das Wirkliche anzunehmen und ihm in Güte zu begegnen.

Damit unterscheidet sie sich grundlegend von dem, was uns „gefällt“. Gefallen richtet sich nach unseren Vorlieben, unseren Erwartungen, unseren Wünschen: Ich mag dich, solange du in mein Bild passt. Liebe dagegen ist frei davon. Sie sagt: Ich sehe dich, wie du bist – und ich lasse mich davon berühren.

Für hochsensible Menschen kann Liebe sogar als eine Art Schwingung erlebt werden, als feine Präsenz, die verbindet statt trennt. Sie ist kein Drama, keine Forderung, kein emotionaler Überfluss, sondern ein stiller, kraftvoller Strom von Güte. Eine Energie, die nicht klammert, sondern weitet.

In ihrem Kern ist Liebe gelebte Güte: die Bereitschaft, einem Menschen, einer Situation oder sich selbst wohltuend zu begegnen. Nicht, weil alles perfekt wäre – sondern weil die Wahrheit unser Herz berührt hat und sich entscheidet, heilsam darauf zu antworten.

Liebe als Zustimmung zum Leben

Liebe bedeutet nicht, Schmerz zu übersehen oder Leid schönzureden. Sie ist kein Ausweichen, kein „Es ist schon okay“, wo es nicht okay ist. Liebe ist vielmehr ein tiefes inneres Ja zum Leben – auch dann, wenn es herausfordernd ist.

Wenn wir aufhören, gegen die Wahrheit anzukämpfen, entsteht plötzlich Raum.
Raum zum Atmen, Raum zum Fühlen, Raum, um uns selbst zu spüren.
Und genau in diesem Raum beginnt Liebe zu fließen.

Liebe zeigt sich dann nicht als Emotion, sondern als Haltung:

  • als Zustimmung zum Leben, so wie es jetzt ist.
  • als leises, kraftvolles Einverständnis mit dem Moment.
  • als Bereitschaft, präsent zu bleiben – selbst dort, wo wir verletzt, irritiert, verunsichert sind.

Dieses „Ja“ ist kein Aufgeben, sondern ein Ankommen. Ein Einverstanden-Sein mit der Wirklichkeit, das uns wieder in Verbindung bringt: mit uns, mit anderen und mit dem größeren Ganzen, das uns trägt. Es handelt sich dabei um ein „Ja“, das Entwicklungen sogar entscheidend voranbringen kann: Denn je mehr Akzeptanz für das vorhanden ist, was ist, desto mehr Veränderung kann geschehen.

Selbstliebe: das Ja zur inneren Wahrheit

Echte Selbstliebe beginnt nicht mit positiven Affirmationen oder dem Versuch, sich „besser zu fühlen“. Sie beginnt mit Ehrlichkeit, mit einem offenen Blick auf unsere innere Wahrheit und warum wir geworden sind, was wir sind.

Solange wir bestimmte Seiten von uns verstecken, abwerten oder verdrängen, kann keine wirkliche Liebe zu uns selbst entstehen. Wir lieben dann nur das Bild, das wir gern wären – nicht den Menschen, der wir sind. Und das treibt uns, oft ohne dass wir dies bemerken, nur immer weiter in die Verzweiflung. Denn je mehr wir versuchen, einem Ideal zu entsprechen, desto weiter entfernen wir uns von unserem eigenen Wesen. Wir verlieren den Kontakt zu dem Menschen in uns, der gesehen werden möchte – und dieser innere Verlust schmerzt tiefer als jede äußere Ablehnung.

Selbstliebe hingegen als echter Kontakt zu unserem tiefsten Inneren wächst dort, wo wir den Mut haben, wahrhaftig hinzuschauen:

  • auf unsere Schwächen
  • unsere Muster, unsere Ängste, unsere Grenzen
  • auf das Unbequeme und Unvollkommene, das wir so lange vermeiden wollten

Wenn wir anfangen, diese Wahrheit über uns anzunehmen, geschieht etwas leises, aber Entscheidendes:

  • Scham verwandelt sich in Mitgefühl.
  • Härte löst sich auf und macht Platz für Güte.
  • Und plötzlich entsteht ein innerer Raum, in dem wir uns selbst nicht mehr bekämpfen müssen, sondern begleiten können.

Selbstliebe ist dann kein Ziel mehr, sondern ein Weg – ein Prozess gelebter Wahrhaftigkeit.

Wahrheit und Liebe sind eins

Wahrheit und Liebe wirken auf den ersten Blick zwar wie zwei unterschiedliche Kräfte: die eine klar, nüchtern, manchmal schmerzhaft – die andere warm, verbindend, weich. Doch in ihrem Kern gehören sie untrennbar zusammen:

  • Wahrheit ohne Liebe wird hart.
  • Liebe ohne Wahrheit ist nur eine Illusion.

Erst gemeinsam bilden sie die innere Ausrichtung, die uns trägt:

  • Wahrheit zeigt uns die Wirklichkeit.
  • Liebe hält unser Herz offen für sie.

Wenn wir die Wahrheit anerkennen, entsteht Liebe – nicht als Emotion, sondern als innere Weite, als Zustimmung, als Güte. Und wenn wir lieben, werden wir wahrhaftiger, weil wir nichts mehr verzerren oder verstecken müssen.

So sind Wahrheit und Liebe zwei Seiten derselben Bewegung:

  • ein Zurückkehren zu dem, was wirklich ist.
  • ein Heimkommen in uns selbst.
  • ein tiefes Vertrauen in das Leben, das uns führt.

In dieser Einheit beginnt Spiritualität – und in ihr findet sie auch ihre Vollendung.

Lies hier Teil 1 dieser Artikelserie – Wahrheit

Teil 3 „Weite“ folgt Anfang Januar 2026.

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1 Gedanke zu „Hochsensibilität und Spiritualität Teil 2 – Liebe und Güte“

  1. Ganz herzlichen Dank für diese klaren Worte; ich fühle es so und es hilft mir weiter bei der Suche nach stimmigen Entscheidungen. Es macht es aber auch schwer, gerade mit nahen Verwandten, die man jetzt doch vermehrt sieht, trifft, hört. Und ich brauche Tiefe oder. Wie umgehen mit einer jüngeren Schwester, die bewußt falsch über mich geredet hat (ich sei Single, dabei habe ich eine große Familie und sie ist Single) und betont, sie würde sich nie entschuldigen. Es war für mich so krass, dass ich es im Familien- und Bekanntenkreis mitteilte, vor allem tut es so weh. und dazu ging es um einen „Batzen“ am Vermächtnis. Und dieselbe Schwester klagt, trotz dieses immensen Erbes (Wohneigentum plus …): „Ich als Kind durfte nicht …“ im Gegensatz zu mir … egal was, seit etwa 45 Jahren. Ich bin die Älteste und in Allem die Erste gewesen. Das „Ich durfte nicht…“ ist ihrs, das habe ich gemerkt. Aber es ist traurig, wenn jemand das so lange im Rucksack trägt. Mein Bruder, Sandwichkind, hat mit seiner Rolle überhaupt kein Problem, ich habe mit ihm darüber geredet. Kennt jemand das? Gut für sich sorgen mit gehirngerechtem Essen, Bewegung ist schon eine gute Sache.

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