Auch wenn es noch keine nennenswerte Forschung zu diesem Thema gibt, liest man doch immer wieder, dass Partnerschaften zwischen zwei hochsensiblen Menschen genauso ihre Vor- und Nachteile haben, wie wenn nur einer der beiden Partner hochsensibel ist. Ich persönlich hatte das Glück, bzw. das Pech (je nachdem, von welcher Warte aus man es sehen möchte), in meinem Leben zwei langjährige, wichtige Beziehungen geführt zu haben. Nur einer der beiden Männer war hochsensibel. Von daher habe ich beide Konstellationen längerfristig erlebt. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich bestätigen, dass beides seine Vor- und Nachteile hat. Ich finde es wichtig, zu wissen, in welcher Konstellation man lebt, um dann mit realistischen Erwartungen an seine jeweilige Beziehung heranzugehen. Um das genauer herauszuarbeiten, möchte ich zunächst meine beiden Ehen kurz beschreiben. Mein erster Mann ist 1999 verstorben. Der Kummer darüber ist längst verarbeitet. Gut daran ist, dass meine Erinnerung an diese Liebe ungetrübt ist, weil uns weder Streit noch Scheidung getrennt haben, sondern das Schicksal. Mit ihm war ich zehn Jahre lang zusammen, wir waren sieben Jahre lang verheiratet. Meinen zweiten Mann habe ich 2002 kennengelernt. Obwohl wir bis heute immer noch zusammen sind, werde ich dennoch von beiden Beziehungen in der Vergangenheitsform sprechen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ich keinen von beiden irgendwie outen möchte, denn das ist schließlich deren Angelegenheit.
Liebe zum normalsensiblen Partner
Meine Liebe zum normalsensiblen Partner hat mir viel Halt gegeben. Er war stark und festverwurzelt wie ein Baum, an den ich mich anlehnen konnte. Was andere dachten, war ihm egal, so dass man immer sein Ding machen konnte. Er konnte mir viel Geborgenheit geben, und das in Zeiten, die für mich stürmisch waren. Glücklicherweise schätzte mein Mann meine feinen Wahrnehmungen und glaubte sie mir, auch wenn er sie nicht teilte. Er hat dies immer als Bereicherung empfunden und war stolz auf mich. Wenn es Männerarbeit zu verrichten gab, konnte man sich auf seine starken Arme verlassen.
Obwohl unsere Liebe groß war, blieb doch ein unbestimmtes Gefühl, ihm nicht wirklich so nah sein zu können, wie ich mir das vorgestellt habe. Es war viel gegenseitiges Verständnis da, aber nicht das wirkliche Verstehen in der Tiefe, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll; es war, wie wenn da eine dicke Scheibe gewesen wäre, durch die wir uns gut sehen konnten, aber nie wirklich eins wurden.
In Auseinandersetzungen bin ich ihm ziemlich auf die Nerven gegangen, denn ich nahm immer alles sehr genau und musste es bis ins letzte Detail geklärt haben, um mich wieder sicher zu fühlen. Er hingegen ließ lieber einmal fünfe gerade sein, Hauptsache, man liebt sich. Das verlangte er auch von mir und konnte nicht verstehen, wenn ich insistierte.
Liebe zum hochsensiblen Partner
Mein hochsensibler Partner war eher ein Hälmchen im Wind. In dieser Konstellation war ich stets die Haltgeberin. Das hat mich besonders in Situationen, in denen es mir nicht gut ging, ziemlich überfordert, denn da sind wir in schöner Regelmäßigkeit beide zusammen umgefallen. In dieser Hinsicht hat mich diese Beziehung viel Kraft gekostet.
Doch was mir hier sehr viel Kraft gegeben hat, war, dass zwischen uns genau die Nähe und die Tiefe der menschlichen Begegnung möglich war, die ich mir wünschte, und die meiner Veranlagung entspricht. In Momenten, wo unsere Liebe ganz frei fließen konnte, fühlten wir uns vollkommen eins miteinander. Auch hatten wir stets die gleichen Wahrnehmungen und konnten uns immer darüber austauschen. Das war eine große Bestätigung und hat mir viel Sicherheit in Bezug auf meine Weltsicht gegeben. Hier sprudelte eine weitere Kraftquelle, die mich für die haltlosen Situationen entschädigt hat.
In Auseinandersetzungen hatten wir stets das gleiche Interesse, Dinge bis in die Tiefe zu bearbeiten. Darüber haben wir manche schlaflose Nacht geopfert, hinterher war aber wirklich alles geklärt. Wir haben das beide immer als eine Quelle der persönlichen Weiterentwicklung empfunden.
Wer erledigte bei uns die groben Arbeiten, wenn es sein musste? Ich natürlich! Wenn es Geschenke einzupacken oder etwas zu Dekorieren gab, ließ ich ihn lieber machen. Von daher gab es nie eine klare Rollenverteilung, wie sie zwischen Mann und Frau oft üblich ist.
Normal- oder hochsensibler Partner? Alles eine Frage der Erwartungen!
Insgesamt gesehen sehe ich beide Beziehungen als gleichwertig an. Beide haben mir gleich viel Kraft gegeben und mich auch gekostet, obwohl, oberflächlich gesehen, der eine Mann wie ein starker Baum, und der andere wie ein Hälmchen im Wind erscheint. Die Frage ist, mit welchen Erwartungen ich an eine Beziehung herangehe. Beide Ausprägungen der Sensibilität sind Weisen des Seins, die je ihre Berechtigung, Stärken und Schwächen haben. Ich kann keinen starken Mann als Fels in der Brandung erwarten, der gleichzeitig empfindsam ist und mich bis in die Tiefe versteht. Umgekehrt gibt es auch nicht den Menschen, der die Tiefen emotionalen Erlebens auslotet und dabei festverwurzelt und unbeeindruckt dasteht, wenn stürmische Zeiten kommen.
Letztlich kommt es also nicht darauf an, welche Sensibilitätsausprägung der eigene Partner hat. Es ist gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat, weil man dann mit realistischen Erwartungen an die Beziehung herangehen kann. Doch am Ende zählt allein die Frage, ob es vom Menschlichen her gesehen passt. Denn wo Liebe ist, ist immer auch die Bereitschaft vorhanden, Toleranz zu üben und Schwierigkeiten zu überwinden.
Zurück zu hochsensibel sein
ich bevorzuge die erste Variante und kann das nicht bestätigen, dass hierbei die tiefste Nähe fehlt, das ist 100 % auch mit einem nicht hochsensiblen Partner möglich, es muss halt vielmehr der richtige sein.
Liebe Birgit,
ich denke auch, dass es vor allem der Richtige sein darf! Unterschiede, die es zu überbrücken gilt, gibt es in jeder Partnerschaft, und das gelingt immer, wenn die Liebe da ist. :-)
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Liebe Anne Barbara,
vielen Dank für den Beitrag – mir ist nur wichtig zu erwähnen, dass sich hier die Geahr der Verallgemeinerung und des Klischees einschleichen. Ich bin ein Mensch, der sich in Kreisen aufhält wo man viele Musiker und (bildende) Künstler antreffen kann – von denen ich sagen kann, dass sie Glühbirnen autauschen können, Wände einschlagen, die Axt schwingen und auch mal einen Baumstamm stemmen. Ich genauso schon unsensible schlacksige Menschen, wie sensible hühnenhafte Bären getroffen; genauso wie ich Menschen antraf die „das hätte ich niemals von ihm gedacht“ homosexuell waren, im gegensatz zu dem „der ist vom anderen Ufer“ hetero. Als ein aufmerksamer Mensch, empfinde ich es als eine Art Pflicht hier mehr Graustufen miteinzubringen: Ich muss aber trotzdem für dein Artikel danken.
Alles Gute
Ebbe
Liebe Ebbe,
danke für Dein nettes Feedback und das Teilen Deiner Gedanken!
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara