Hochsensibel? So gehst du gut mit deinen Gefühlen um

Kaum ein hochsensibler Mensch kommt um das Thema Gefühle herum. Denn wir empfinden Gefühle stärker und tiefer als der Bevölkerungsdurchschnitt. Dies betrifft sowohl die angenehmen als auch die unangenehmen, als negativ empfundenen Gefühle. Das macht es nicht leicht, gut mit unseren Gefühlen umzugehen. Viele Hochsensible beschreiben, dass sie regelmäßig von ihren Gefühlen überwältigt werden. Manche beklagen sogar, zu viel zu fühlen. Oft wird uns auch von anderen eine Überemotionalität vorgeworfen. (Das ist natürlich falsch! Wer sagt denn, wir hätten „zu viel“ Gefühl? Vielleicht haben die anderen ja zu wenig!) Aus Angst, von der eigenen Emotionalität überwältigt zu werden, flüchten sich viele Hochsensible in den Verstand. Denn das Gefühlsleben erscheint als unberechenbar und macht uns auch verletzlicher. Im Verstand hingegen ist alles so schön logisch und vorhersehbar. Dabei haben unsere Gefühle eine ganz besondere Kraft, die es zu entdecken und zu nutzen gilt. Wichtig ist nur, dass du gut und richtig mit deinen Gefühlen umgehst. Wie das gelingt, erfährst du in diesem Blog-Artikel.

So findest du deine Balance zwischen Verstand und Gefühl

Die meisten Menschen sind tendenziell eher vom Verstand her gesteuert. Das liegt mit Sicherheit an unserer westlichen Zivilisation, die dort ihren Schwerpunkt hat. Schon als Kinder lernen wir, dass wir „vernünftig“ sein und uns „nicht so anstellen“ sollen. In Schule, Ausbildung und Beruf wird viel Wert auf den Verstand gelegt. Niemand sagt uns, wie wir glücklich leben können. Hauptsache wir sind später reif für den Arbeitsmarkt. Wir erliegen dadurch der Illusion, wir könnten alles mit den Mitteln des Verstandes lösen. Doch das stimmt so nicht.

Jede Logik braucht eine „wahre“ Grundannahme, auf der sie aufbauen kann. Wenn ich weiß, dass eins plus eins gleich zwei ist, kann ich darauf eine Mathematik aufbauen, die sehr hilfreich ist. Auf der Basis „eins plus eins gleich drei“ könnte man sicher auch eine Mathematik aufbauen, die in sich logisch wäre. Es käme aber trotzdem nur Unsinn dabei heraus, weil die Grundannahme, auf der diese Logik fußt, eben falsch ist. Dies verdeutlicht die Grenzen des Verstandes: Er kann vieles, aber nicht wissen, was wahr ist.

Deine Gefühle sind deine innere Wahrheit, dein Kompass im Leben, durch den du weißt, was dir guttut und was nicht, was du im Leben willst und wohin du gehen magst. Wir alle haben einen kontinuierlichen Fluss an Gefühlen, der uns den ganzen Tag durchströmt. Leider haben viele verlernt, darauf zu hören Denn Gefühle wollen gefühlt werden. Sie sind deine Kraftquelle und deine zuverlässigste innere Wahrheit.

Aufgrund dieser Charakteristika von Verstand und Gefühl lässt sich ableiten, wie die eigentliche Beziehung zwischen ihnen sein sollte: Deine Gefühle sind nämlich der Boss, der bestimmt, wo es lang geht. Dein Verstand ist nur das ausführende Organ. Das heißt, wenn deine Gefühle dir sagen, wohin du willst, hat der Verstand für die bestmögliche Umsetzung zu sorgen. So sind dein Verstand und deine Gefühle perfekt ausbalanciert.

Gefühle kannst du nicht kontrollieren, Emotionen schon

Es gibt verschiedene Definitionen von Gefühl und Emotion. Oftmals werden beide sogar als Synonym verwendet. Die hilfreichste Definition, die mir begegnet ist, ist folgende:

Gefühle sind das, was wir im Innersten empfinden, Emotionen sind unsere Reaktion darauf. Das heißt, wenn ich z.B. zornig über etwas bin, ist dieser Zorn mein Gefühl. Wenn ich meine, ich muss jetzt aus Zorn das oder das machen, ist das eine Emotion. Das Wort kommt vom lateinischen „emovere“ und bedeutet „hinaus schaffen“. Emotionen sind also der Ausdruck unserer Gefühle.

Wenn wir unsere Gefühle unterdrücken, macht uns das krank. Wir sollten unsere Gefühle deswegen frei fließen lassen. Das ist ein innerer Prozess, der uns mit einem wichtigen Teil unserer selbst verbindet. Das Durchfühlen von Gefühlen bringt uns eine Menge Energie und wichtige Informationen darüber, was gerade mit uns los ist. So haben wir am Ende die Kraft und den Durchblick, das bestmögliche zu tun, also den bestmöglichen Ausdruck für unsere Gefühle zu finden. Wenn ich den bestmöglichen Ausdruck für meine Gefühle finde, heißt das, ich habe volle Kontrolle über meine Emotionen. Ich schaffe das bestmögliche hinaus.

Oft haben wir die Befürchtung, unsere Gefühle würden uns dazu verleiten, „Fehler“ zu machen. Doch das stimmt so nicht. Fehler passieren nur, wenn man sich von seinen Emotionen leiten lässt. Ein Gefühl ist ein Gefühl und bleibt ein Gefühl, wenn du es als solches einfach nur wahrnimmst. Es ist ein Prozess, der nur in dir stattfindet. Solange du nur fühlst und nichts tust, ist es eine vollkommen sichere Angelegenheit.

Warum uns bestimmte Gefühle so schwer fallen

Deine Gefühle wollen von dir gefühlt werden. Empfinden wir angenehme Gefühle wie Liebe oder Freude, fällt uns das leicht. Problematisch wird es bei den unangenehmen Gefühlen wie Trauer, Zorn, Schmerz und Angst. Das liegt daran, dass wir schon als Kinder darauf konditioniert werden, diese „negativen“ Gefühle nicht nach außen zu zeigen:

  • Wir sollen „lieb“ sein, „pflegeleicht“, „brav“ und „angenehm“. Zorn und Wut dürfen da nicht sein.
  • Wir sollen „mutig“, „stark“ und „eigenständig“ sein. Angst hat da keinen Platz.
  • Wir sollen „gute Laune mitbringen“, „die Stimmung nicht verderben“, keine „Spaßbremsen“ sein. Da ist kein Raum für Schmerz oder Traurigkeit.

Also lernen wir von früher Kindheit an, diese Gefühle zu verdrängen. Es fällt uns nicht leicht, zu diesen Gefühlen zu stehen, weil wir Angst haben, dafür abgelehnt zu werden. Doch auch diese (oft als negativ bezeichneten) Gefühle sind für uns von entscheidender Wichtigkeit:

  • Wenn du Zorn fühlst, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass eine deiner Grenzen überschritten wurde. Wie willst du dich dagegen behaupten, wenn du dieses Signal noch nicht einmal bemerkst? Mehr dazu kannst du in meinem Blog-Artikel Hochsensibilität, Abgrenzung und Aggression nachlesen.
  • Wenn du Angst empfindest, kann das ein wichtiges Warnsignal geben. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich angesichts eines übermächtigen Gegners rechtzeitig zurückzuziehen, statt sich in einem hoffnungslosen Kampf aufzureiben.
  • Wenn du traurig bist, zeigt dir das, dass du einen Verlust zu verschmerzen hast. Es ist wichtig für dich, dies zu fühlen, denn nur so kannst du solche Verluste erkennen und verarbeiten. Unser Leben bringt jede Menge an kleinen, mittleren und großen Verlusten mit sich. Wir dürfen ständig etwas loslassen, das uns lieb gewesen ist oder zumindest gewesen wäre. Mehr dazu kannst du in meinem Blog-Artikel Hochsensibilität, Trauer und Verlust nachlesen.

Warum es so wichtig ist, dass du trotzdem all deine Gefühle zulässt

Es gibt sowohl eine wissenschaftliche als auch eine spirituelle Erklärung dafür, warum es so wichtig ist, dass du deine Gefühle frei fließen lässt. Ich beginne mit der neurowissenschaftlichen, damit du einen Eindruck davon bekommst, wie dein Gehirn mit Gefühlen umgeht:

Die neurowissenschaftliche Erklärung

Dein Verstand und dein rationales Denken sind in der linken Gehirnhälfte beheimatet, deine Gefühle, deine Kreativität und Intuition eher in der rechten. Beide Hirnhälften sind durch den Balken verbunden und sollten darüber in einem regen Austausch stehen:

  • Wenn du deine Gefühle unterdrückst, blockierst du den Informationsaustausch beider Hirnhälften.
  • Du verwendest dann hauptsächlich die linke und denkst quasi nur noch mit deinem halben Hirn. Die Kraft deiner Gefühle geht dir dabei verloren!

Mit diesem simplen Trick bringst du deine beiden Hirnhälften dazu, sich perfekt zu synchronisieren:

  • Frage dich über den Tag verteilt immer wieder: „Was empfinde ich gerade?“
  • Die Frage wird von der rationalen, linken Gehirnhälfte gestellt, die auch für Sprache zuständig ist.
  • Um die Antwort auf diese Frage zu finden, musst die linke Hirnhälfte Informationen aus der rechten abrufen.
  • Wenn du das Gefühl dann benennst, ist wieder die linke Hirnhälfte aktiv.

Wenn du das über zwei bis drei Wochen konsequent machst, verbessert sich die Verbindung deiner Hirnhälften über den Balken signifikant. Denn unser Gehirn formt sich ständig nach den jeweiligen Anforderungen um, die wir ihm stellen. Das nennt man Neuroplastizität.

Mehr dazu kannst du in diesem Buch nachlesen: Daniel J. Siegel: Die Alchemie der Gefühle - wie die moderne Hirnforschung unser Seelenleben entschlüsselt*

Die spirituelle Erklärung

Für deine Gefühle ist dein zweites Chakra verantwortlich, auch Sakralchakra genannt. Dieses ganz besondere Energiezentrum befindet sich etwa eine handbreit unter deinem Bauchnabel:

  • Wenn du Gefühle verdrängst, unterbrichst du die Energiezufuhr für dieses Chakra.
  • Dies beeinträchtigt den gesamten Energiefluss deines Körpers, weil dann auch die anderen Chakren nicht mehr ausreichend Energie bekommen.
  • Wenn du deine Gefühle bejahst und bedingungslos fühlst, öffnet sich dein Sakralchakra und der Energiefluss reguliert sich. Du kommst in deine Kraft.

Mehr dazu kannst du hier nachlesen: Andreas Schwarz: Das Chakra-Geheimnis*. Im zweiten Kapitel dieses Buches wird das Sakralchakra ausgiebig behandelt.

Eine Übung, die dich in deinen persönlichen Flow an Gefühlen bringt

Obwohl wir als hochsensible Menschen besonders gefühlsstark sind, fällt es doch den meisten nicht leicht, diesen Strom an Gefühlen wahrzunehmen, zuzulassen und durchzufühlen. Der Autor Andreas Schwarz schlägt dazu folgende Übung vor:

Richte dir ein Blatt Papier und etwas zu schreiben und stelle dir einen Timer auf zehn Minuten ein. In diesen zehn Minuten achtest du darauf, was du fühlst. Jedes Gefühl, dass dir bewusst wird, schreibst du auf. Du kannst mit deinem ersten Gefühl in der Mitte anfangen und die weiteren darum herum gruppieren, auch verschiede Farben verwenden, so, wie es dir in den Sinn kommt.

Es ist gut möglich, dass du während dieser Übung merkst, mehrere Gefühle gleichzeitig zu empfinden. Sie können sogar widersprüchlich sein, sodass du beispielsweise gleichzeitig Freude und Trauer empfinden kannst.

Diese Übung bringt dich in Kontakt mit deinem persönlichen Flow an Gefühlen. Wenn du sie ein paarmal gemacht hast, kannst du versuchen, immer im Alltag genau zu spüren, was du fühlst. Du wirst erstaunt sein!

Bitte sei vorsichtig mit dieser Übung, wenn du traumatisiert bist oder eine andere psychische Erkrankung hast. Wenn du das Eindruck hast, dein Zustand verschlechtert sich, lasse diese Übung lieber bleiben.

Aber steigere ich mich so nicht in Gefühle hinein?

Viele Hochsensible befürchten, dass sie sich in Gefühle hineinsteigern würden, wenn sie sie in vollem Umfang zulassen. Das ist aber nicht der Fall. Gefühle, die zugelassen werden, dauern nie lange an. Die meisten bleiben nur fünf bis fünfzehn Minuten, wenn wir sie voll durchfühlen.

Nur verdrängte Gefühle kommen immer wieder hoch. Es ist ein wenig, wie wenn ich dir sagen würde: „Denke jetzt nicht an einen rosa Elefanten“. Auch wenn du seit Jahren nicht mehr an einen solchen hast denken müssen oder vielleicht überhaupt noch nie, jetzt hast du den Gedanken im Kopf. Und je mehr du versuchst, ihn zu verdrängen, umso hartnäckiger kommt er wieder hoch.

Probiere es aus: Nimm dir einen ruhigen Moment Zeit und denke an jemanden, auf den du wütend bist. Lasse diese Wut voll und ganz zu, fühle sie in vollem Umfang. Tue dabei nichts anderes. Nach wenigen Minuten wird die Wut verflogen sein und vielleicht hast du sogar viele neue Erkenntnisse gewonnen…

Meine Erfahrungen im Umgang mit Gefühlen

Ich habe dieses Jahr meinen Sommerurlaub genutzt, um in den vollen Kontakt mit meinen Gefühlen zu kommen. Früher konnte ich noch nicht einmal meinen Zorn zulassen. Daran hatte ich schon ausführlich gearbeitet, wie du in meinem Blog-Artikel Hochsensibilität, Abgrenzung und Aggression nachlesen kannst. Deswegen hatte ich schon Übung darin und bin direkt dazu übergegangen, den ganzen Tag auf meinen Gefühlsstrom zu achten.

Das Ergebnis war sehr interessant. Ich stellte fest, dass ich noch ein Problem damit hatte, Angst zuzulassen. Bis dahin hatte ich mich für jemanden gehalten, für den Angst kaum ein Thema ist. In Wirklichkeit hatte ich sie nur ziemlich erfolgreich verdrängt.

Beim Hineinfühlen stellte ich fest, dass dies von meiner Mutter herrührte: Sie hatte ihre Kindheit im Nazi-Deutschland verbracht und war darauf sozialisiert gewesen, „stark“ und „mutig“ zu sein. Angst durfte ich bei ihr nicht zeigen, da wurde ich als „schwach“ abgekanzelt.

Durch das Fühlen der Angst wurde mir klar, dass dieses Gefühl gar nichts mit Schwäche zu tun hat. Angst ist ein wichtiges Warnsignal, das mir zeigt, wann ich einer Situation nicht gewachsen bin und den Rückzug antreten sollte. In dieser Hinsicht ist sogar ein Gefühl wie Angst eine große Kraftquelle!

Ich hatte zunächst befürchtet, dass die Angst schlimmer werden würde, wenn ich sie in vollem Umfang zuließe. Doch es geschah etwas erstaunliches:

  • War sie ein echtes Warnsignal, besserte sie sich sofort, wenn ich darauf hörte.
  • War es eine unbegründete, übermäßige Angst, regulierte mein Gehirn sie. Es stellte sich ein Gefühl von Besonnenheit ein, nach dem Motto: „Achtung, du hast zu viel Angst, jetzt besser nicht aus Angst handeln.“

Das fand ich wirklich verblüffend! Es scheint tatsächlich so zu sein, dass, wenn wir Gefühle voll und ganz zulassen, sich eine gewisse Selbstregulation einstellt. Ich würde mich darüber freuen, wenn diese Zeilen dich dazu ermutigen, es auch auszuprobieren…

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