Klänge sehen, Farben hören – Hochsensibilität und Synästhesie

In letzter Zeit sind mir einige hochsensible Menschen begegnet, die ein Wahrnehmungsphänomen aufweisen, für das sie keine Erklärung hatten. Da ich in meinen Coachings viel mit Imagination arbeite, frage ich meine Klienten immer, ob sie sich eine Sache, die sie sich vorstellen, eher sehen, hören oder fühlen können, um mich auf den von ihnen bevorzugten Wahrnehmungskanal einzustellen. Es kann dann durchaus vorkommen, dass der oder die Befragte anfängt zu stammeln, nicht recht weiß, was er/sie dazu sagen soll, errötet und sich gar dafür schämt bzw. befürchtet, etwas verrückt zu sein. Bei genauerem Nachfragen stellt sich oft heraus, dass diese Menschen keinen bevorzugten Wahrnehmungskanal haben, sondern mit mehreren Sinnen gleichzeitig wahrnehmen. Dass das keinesfalls verrückt ist, sondern eine besondere Gabe, ist ihnen meist nicht bewusst. Das Schlüsselwort hierfür lautet Synästhesie.

Was ist Synästhesie?

Synästhesie heißt, dass bestimmte Sinne miteinander verkoppelt sind. Dabei können alle möglichen Verbindungen auftreten. Bei der graphemischen Synästhesie werden z.B. Buchstaben und Zahlen mit bestimmten Farben verknüpft, bei der Kalender-Synästhesie haben Tage, Wochen, Monate bestimmte Formen, und bei Musiksynästhesien werden Klänge mit Farben, Geschmäckern etc. verknüpft. Insgesamt sind über 60 verschiedene Synästhesieformen bekannt.

Synästhesie hat nichts mit Halluzinationen zu tun. Die Assoziationen spielen sich vor dem inneren Auge ab. Wenn ein Synästhetiker einen Klang wie eine orangefarbene Kugel wahrnimmt, ist ihm vollkommen klar, dass da nicht wirklich eine solche Kugel ist.

Synästhesie ist ein recht weit verbreitetes Phänomen, das bei 5-10% aller Menschen auftritt, oft bei kreativ und musisch veranlagten Menschen. Untersuchungen an einer Kunstschule haben ergeben, dass der Anteil an Synästhetikern dort sogar 23 % betrug. Da viele Hochsensible überdurchschnittlich kreativ veranlagt sind, wundert es mich nicht, dass auch mir dieses Phänomen öfters begegnet.

Viele Synästhetiker sind sich ihrer besonderen Wahrnehmungsweise nicht bewusst bzw. halten sie für selbstverständlich. Meist bemerken sie ihre Gabe erst, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Wenn sie über ihre Wahrnehmung sprechen, werden sie oft ausgelacht oder für verrückt gehalten. Früher wurde Synästhesie tatsächlich für eine Wahrnehmungsstörung gehalten. Doch inzwischen hat sich das glücklicherweise geändert.

Bericht einer von Synästhesie Betroffenen Klientin

Eine Klientin schrieb mir in einer Email folgendes:

Du hast mich mal gefragt ob ich in Bildern oder in Worten denke? Ich wusste nicht so richtig was Du damit meinst.

 

Wenn ich z.B. mit jemandem spreche, dann formulieren meine Gedanken Wörter, die Sätze bilden und die ich ausspreche, also denke ich doch in Worten, oder nicht?

 

Wenn ich aber jemandem zuhöre, schaltet sich bei mir immer das Kopfkino ein, Bilder oder kleine Filme entstehen automatisch, ich habe dann eine ganz genaue Vorstellung davon was ich vor meinem geistigen Auge sehe. So kann ich mir das Gehörte einfach viel besser merken.

 

Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen verbinde ich aber auch mit Musik und Gerüchen. Wenn mir ein bestimmter Gedanke oder eine Erinnerung kommt, habe ich beispielsweise eine genaue Klangfarbe oder Melodie im Kopf, mal einen ganz bestimmten Geruch im Sinn, oder eben ein spezielles Bild vor Augen (oder mehreres auf einmal) womit ich das ganze verbinde. Das war schon immer so bei mir seit ich denken kann, ich kenne das gar nicht anders. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich mir einbilde immer so häufig Déjà-Vu’s zu haben.

 

Ich weiß, das hört sich alles ziemlich bescheuert und dumm an, und wenn ich es anderen erzähle halten sie mich für verrückt, ich hoffe Du tust es nicht. Ich weiß nur nicht wie ich das sonst beschreiben soll, ich dachte immer es sei ganz normal die Dinge so zu empfinden, vielleicht bin ich ja verrückt, ein bisschen? ;)

Als ich ihr antwortete, dass das keineswegs verrückt sei, sondern Synästhesie, schrieb sie mir:

Den Begriff Synästhesie kannte ich bisher nicht, habe jetzt aber mal ein bisschen gegoogelt und bin überrascht, dass mich das ganz gut beschreibt.

Mir war seit klein auf schon immer klar, dass beispielsweise das Wort „Laura“ eine blaue Welle darstellt, eine „3“ braun sein muss, wie der Regen und Sonnenschein riecht, und das Meer eine ganz ergreifende Klangfarbe hat etc.

Ich wusste, dass ich als Kind und Jugendliche schon immer eine blühende Fantasie hatte und habe mich immer gerne in Tagträumen verloren, da konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Mir wurde sehr oft nachgesagt dass ich eine „Tranfunzel“ oder zurückgeblieben sei, und ich müsse endlich mal vernünftig und erwachsen werden! Dabei fühlte ich mich als Kind eigentlich eh schon erwachsen und ich empfand diese Aussagen als ärgerlich und verletzend, und das brachte mich andererseits immer ins Zweifeln ob was mit mir nicht stimmt, wie so oft!

Ich bin sehr erleichtert zu erfahren, dass ich in dem Punkt doch nicht irgendwie „zurückgeblieben“ bin , sondern es eine begründete Erklärung dafür gibt und es anderen auch so geht!

Der Bouba-Kiki-Effekt – „Synästhesie“ für alle

In gewisser Weise sind wir übrigens alle ein wenig „synästhetisch“, wie der Bouba-Kiki-Effekt zeigt: Forscher haben herausgefunden, dass fast alle Menschen dem Wort Bouba eher runde Formen, dem Wort Kiki eher eckige Formen zuordnen. Dieses Phänomen ist universell und international, man nennt es „cross-modale Korrespondenzen“. Der Unterschied zur Synästhesie ist der, dass man solche cross-modalen Korrespondenzen unbewusst tätigt und sie nur auf Nachfrage hin ins Bewusstsein dringen. Synästhetiker haben solche Assoziationen hingegen bewusst, konstant, unwillkürlich und können sich auch gut daran erinnern.

Meine Erfahrungen mit Synästhesie

Ich selbst habe auch einen leichten Hang zur Synästhesie. In meinem Kopf habe ich ständig den passenden Soundtrack zu dem, was gerade geschieht. Manchmal wundere ich mich, was ich da eigentlich innerlich singe, und dann muss ich oft  lachen, wenn ich den Bezug zum gegenwärtigen Geschehen feststelle. Neulich lernte ich z.B. eine Frau namens Margit kennen, was zur Folge hatte, dass ich ständig das altfranzösische Lied „Margot labourait les vignes“ (Margot arbeitete im Weinberg) im Kopf hörte. Der Nachteil daran ist nur, dass ich jetzt sehr aufpassen muss, Margit und nicht Margot zu ihr zu sagen. ;-)

Ich habe Kunstgeschichte und Musikwissenschaft studiert. In meiner Magisterprüfung wählte ich bewusst in beiden Fächern Themen aus den gleichen Epochen. Wenn ich dann vor den Bildern stand, hörte ich die passende Musik und umgekehrt. Das habe ich sehr genossen. Außerdem habe ich die Epochen und ihr Lebensgefühl dadurch auf eine tiefe Weise verstanden und konnte mir vieles besser merken. Synästhesie ist also weder verrückt noch gestört, sondern sehr angenehm und hilfreich.

Mehr zum Thema:
Synästhesie auf Wikipedia

Deutsche Synästhesiegesellschaft

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2 Gedanken zu „Klänge sehen, Farben hören – Hochsensibilität und Synästhesie“

  1. Ein schöner Beitrag!
    Ich meine, dass alle Wahrnehmungen Resonanzeffekte sind und dass es für „fehlende“ Blockaden spricht, wenn wir diese Vernetzungen von Sinneseindrucken erleben dürfen. Ich empfinde es als wahres Geschenk, die richtigen Lieder im Inneren zu hören und bei Therapien gleich mit den richtig farbigenden Lebensmitteln empfehlen zu können.
    Dazu möchte ich noch anführen, dass ich einige Jahre der Suche nach mir Selbst und vieler mehrdimensionaler Entschlackungsakte bedurfte, bis ich sowohl die Hochsensibilität als auch die Synästhesie wieder an mir erleben durfte. Heute freue ich mich, anderen Erfahrungen mitzuteilen und dafür zu arbeiten, dass die Kinder von heute, in ihrer Sensibilität wahrgenommen und sich selbst schätzen und lieben lernen.
    Herzliche Grüsse an alle
    JACQUELINE

    Antworten
    • Hallo Jaqueline,

      vielen Dank für Deinen Bericht und Dein nettes Feedback! Noch jemand mit dem passenden Soundtrack im Ohr, das freut mich. ;-)

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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