Wir Hochsensible kennen das alle. Manchmal fühlen wir eine tiefe Verbundenheit mit der Welt und allem Leben auf dieser Erde. Das sind Momente, in denen wir ganz erfüllt sind, unser Leben einen Sinn macht und wir wissen, warum und wozu wir da sind. Doch dann gibt es da auch diese andere Seite. Dort fühlen wir uns niedergeschlagen, isoliert und voller Angst, was bis hin zur Feindseligkeit gegen andere gehen kann. Wenn es uns so geht, sind wir gar nicht gut drauf. Aber warum ist das so? Oft scheint es uns, als seien äußere Umstände dafür verantwortlich, das Wetter, Pech oder Glück, jemand hat uns freundlich zugelächelt oder es traf uns ein feindseliger Blick. In Wahrheit liegt der Schlüssel zu diesem höchst unterschiedlichen Erleben in uns selbst. Es existieren zwei Systeme, in denen man leben kann: Das System der Liebe und das System der Angst. Und je nachdem, in welchem System wir uns gerade bewegen, kommt uns das Leben ‚mal so und ‚mal so vor. Doch wie kommt es zu diesen beiden unterschiedlichen Systemen?
Das System der Angst
Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir zunächst einmal ganz und heil. Aber meist geschieht es früh, dass uns vermittelt wird, dass bestimmte Eigenschaften an uns nicht o.k. sind. Diese Anteile versuchen wir zu unterdrücken, um geliebt zu werden. Die Persönlichkeitsanteile, die in unserem jeweiligen Umfeld gelobt werden, stellen wir hingegen heraus und identifizieren uns mit ihnen. Welche Eigenschaften gelobt und welche getadelt werden, hat überhaupt nichts damit zu tun, was wirklich „gut“ oder wirklich „schlecht“ ist, sondern hängt vom jeweiligen Umfeld ab. Ist man in eine Kaufmannsfamilie geboren, werden sicher andere Dinge als tugendhaft oder tadelnswert gesehen als z.B. in einer Familie von Künstlern, oder Arbeitern, oder Handwerkern, oder Bauern und so weiter.
Das Ganze setzt sich durch den Leistungsdruck in der Schule und später im Beruf fort, durch das, was in der jeweiligen Clique angesagt ist und als cool gilt, bis hin zu den Medien, die uns am laufenden Band irgendwelche Ideale vermitteln, um uns am Ende Dinge zu verkaufen, die genau das herbeiführen sollen.
In der Folge haben wir wesentliche Persönlichkeitsanteile verdrängt, lauter Eigenschaften, die wir nicht mehr an uns dulden können. Das führt zu einem Gefühl des Mangels. Diesen Mangel nehmen wir sehr wohl wahr, während uns seine Ursache nicht mehr bewusst ist. Wir sehen unser Unglück in der Außenwelt, und suchen dort auch unser Glück – etwas, das uns das Fehlende ersetzt, das den Mangel ausgleicht und uns wieder heil macht. Das kann Liebesglück sein, Dinge die man sich kauft bis hin zu Sucht und Drogenkonsum.
Die drei Angstmuster
In einem solchen Gefühl des Mangels kennt unser Gehirn nur drei Möglichkeiten des Handelns:
- Flüchten: Man sucht sein Heil in der Flucht, im Rückzug vor der Welt und vor den Menschen.
- Kämpfen: Man geht in die Täterrolle und entscheidet sich dafür, sich nichts mehr gefallen zu lassen und sich durchzusetzen.
- Erstarrung: Man geht in die Opferrolle und versucht, sich den Gegebenheiten irgendwie anzupassen.
Alle drei Formen des Handelns erzeugen jedoch nur neues Leid: Wer flüchtet und sich von der Welt zurückzieht, sieht sich bald einsam und isoliert, wer zum Täter wird, beginnt irgendwann auch damit, das zu zerstören, was er am meisten liebt, und wer sich für die Opferrolle entscheidet und versucht, sich anzupassen, wird immer weniger Kraft haben. All das erzeugt weitere Mangelgefühle, aus denen heraus wir erneut zu den altbekannten Mustern greifen und damit in die nächste Runde gehen. Dadurch bleiben wir im System der Angst gefangen.
Das System der Liebe
Im System der Liebe nimmt man sich selbst mit all seinen Anteilen als Ganzes bedingungslos an. Daraus entsteht ein Wohlbefinden und ein Gefühl der Fülle, denn man hat den Zugriff auf die volle Palette seiner Eigenschaften. Das bedeutet nicht, dass nun Anarchie herrscht. Es heißt einfach, dass man all seine Persönlichkeitsanteile zur Verfügung hat, um sie jeweils angemessen einzusetzen: Man flüchtet dann, wenn es besser ist, zu fliehen, da es keinen Sinn macht, sich einem übermächtigen Gegner zu stellen. Man kämpft, wenn es nötig ist, sich zu verteidigen. Und man ist durchaus in der Lage, sich anzupassen, wenn dies erforderlich ist. Doch man ist in keinem dieser Muster gefangen. Dadurch kann man sein Leben neu und auf sinnvolle Weise ordnen.
Da man nun auf den Reichtum, der von innen kommt, zugreift, hat man kein Gefühl des Mangels mehr, sondern eher das Bedürfnis, etwas von dieser Fülle in die Welt zu geben. Man fragt sich also weniger, was man von der Welt oder von anderen haben möchte, sondern wie man die Welt zu einem besseren Ort machen könnte.
Der Liebeszauber
Die Frage ist dann nicht mehr, ob mich jemand angelächelt hat, sondern ob ich ein Lächeln schenken konnte. Es kommt nicht mehr darauf an, Glück zu haben, sondern es zu geben, und bei Regen freut man sich für die Natur und an ihrem Gedeihen.
Und diese Lebenseinstellung hat etwas Magisches an sich – da wir so viel Lächeln schenken, bekommen wir auch ganz viel Lächeln zurück. Da wir mit unserer Liebe andere stärken, bekommen wir immer mehr Liebe zurück, und damit die Kraft, noch mehr Liebe in die Welt zu bringen. Dadurch fühlen wir uns zutiefst mit allem Leben verbunden. Wir werden vom System der Liebe getragen.
Das Tor zur Liebe heißt Ver-Antwortung
Wenn wir im System der Angst gefangen sind, kommt uns das oft wie unabänderliches Geschick vor. Das liegt am Standpunkt, den wir in diesen Zeiten einnehmen – wir suchen unsere Erfüllung in der Außenwelt, und wenn diese uns das Glück verwehrt, denken wir, wir hätten „Pech“ gehabt. Diese Illusion kann recht perfekt ausgeprägt sein und hält sich in den meisten Fällen hartnäckig. Doch wir können das System der Angst jederzeit verlassen, wenn wir die Verantwortung auf uns nehmen.
Wir können nichts dafür, dass wir dazu gedrängt wurden, Persönlichkeitsanteile abzuspalten. Selbst die Menschen, die uns dazu gedrängt haben, können meist nichts dafür, denn sie haben es nicht besser gewusst. Das einzige, was weiterführt, ist, zu erkennen, dass es so geschehen ist. Diese Muster sind in mir entstanden, jetzt bin ich dafür verantwortlich, sie aufzulösen. Und dafür muss ich ganz wörtlich Ver-Antwortung übernehmen, nämlich, Antworten auf die Fragen zu finden, wie es so gekommen ist und wie ich es ändern kann.
In diesem Sinn habe ich einmal einen sehr guten Spruch gelesen:
Die Welt braucht keine verbissenen Weltverbesserer, sondern Selbstverbesserer, denn jeder, der den spirituellen Imperativ lebt, rettet sich selbst und somit den Teil der Welt, auf den er unmittelbaren Einfluss hat.
Andreas Tenzer
Wenn du diese Ver-Antwortung für dich übernimmst, die Muster auflöst, die in dir entstanden sind und du damit mehr und mehr in das System der Liebe zurückkehrst, tust du das Beste, was du für dich und die Welt tun kannst.
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