Hochsensible Menschen haben im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt eine erniedrigte Reizschwelle. Dies hat zur Folge, dass mehr Reize aufgenommen und auch verarbeitet werden müssen. Um sich vor nervlicher Überreizung zu schützen, suchen viele hochsensible Menschen deshalb eher die Stille. Es fällt uns einfach schwerer, wirklich in der Welt zu sein, unseren Platz in der Welt zu finden. Von daher ist das Leben an sich für viele von uns schon eine Weltreise, nämlich eine Reise auf die Welt und in die Welt. Und wenn man sich die Welt so betrachtet, wie sie heute ist, mit Konkurrenz- und Verdrängungskämpfen, Globalisierung und all den internationalen Problemen und Konflikten, stellt man sich als hochsensibler Mensch tatsächlich die Frage: Wo ist mein Platz in dieser Welt? Gibt es überhaupt einen Platz für mich? Werde ich gebraucht, kann ich helfen, meine Qualitäten einbringen, oder hat das alles keinen Sinn?
Sind Hochsensible für bestimmte Berufe geeignet?
In Büchern über Hochsensibilität liest man immer wieder über die „kriegerischen Könige“ und ihre „priesterlichen Ratgeber“, nämlich die hochsensiblen Menschen. Oftmals wird dann beklagt, dass wir diese Rolle heutzutage verloren haben. Dieses Bild geht sicher auf Elaine N. Aron zurück. Unseren Platz in der Welt können wir ihrer Ansicht nach heute als Schreiber, Historiker, Philosophen, Richter, Künstler, Forscher, Theologen, Therapeuten und Lehrer einnehmen. Dazu müssen wir unsere Fähigkeit einbringen, über die verschiedenen Auswirkungen einer Idee nachzudenken. (Aron, Elaine N.: Sind Sie hochsensibel?, München 2005, S. 45ff)
Ich persönlich denke nicht, dass wir unser „Paradies“ verloren haben, und es früher irgendwie besser für uns war. Die Rolle hochsensibler Menschen sehe ich auch nicht in bestimmten Berufsgruppen. Das kann auch gar nicht so sein, denn wir haben außer unserer Hochsensibilität nichts gemeinsam. Wie sollte also das, was wir tun wollen, sich auf bestimmte Berufe beschränken? Unser Beitrag in der Welt ist m.E. viel abstrakter. Ich möchte dies an zwei Beispielen verdeutlichen:
Gegenbeispiele: Hochsensible in ganz anderen Umfeldern
Ein Bekannter von mir ist ein hochsensibler Banker, gehört also einer Berufsgruppe an, die seit der Finanzkrise ziemlich in Verruf geraten ist und in der man hochsensible Menschen nicht gerade in großer Zahl vermuten würde. Früher war er in einer der deutschen Großbanken beschäftigt, die man aus der Werbung kennt. Dort bekam er Vorgaben für seine Arbeit, die er nicht gut geheißen hat. Er konnte seine Kunden, was die Geldanlage betrifft, nicht so beraten, wie er es für richtig hielt, sondern musste im Interesse der Bank handeln.
Das fand er so unerträglich, dass er sich einen neuen Job bei einer kleinen Privatbank gesucht hat. Diese vertreibt keine bankeigenen Anlageformen, sondern nur das, was andere auf den Markt bringen. Dort kann er frei das Beste für seine Kunden aussuchen. Und nebenbei hat er noch zwei Kollegen von früher dazu überredet, auch zu dieser Bank zu wechseln. Die fühlen sich dort nun viel glücklicher, weil sie ihren Job jetzt so machen können, wie sie sich das eigentlich vorgestellt haben.
Ein weiterer hochsensibler Freund von mir ist als Software-Entwickler tätig. Er hat es bei der Arbeit mit vielen hochbegabten Kollegen zu tun und ist selbst auch hochbegabt (als hochbegabt gilt man, wenn man einen IQ von 130 oder höher hat). Als hochsensibler Mensch hat er dort eine andere Rolle übernommen. Während die anderen eher nüchtern ihr Fachwissen anwenden, hat er eine sehr lebendige Sicht auf größere Zusammenhänge entwickelt. Er warnt seine Kollegen, die weniger über den Tellerrand sehen, stets vor Fehlentwicklungen. Damit hat er ein hohes Ansehen in seiner Abteilung gewonnen.
Diese Beispiele zeigen, dass es in der Tat nicht bestimmte Berufe sind, in denen sich hochsensible Menschen verwirklichen können, sondern dass sie eher innerhalb ihrer Berufsgruppe eine bestimmte Rolle einnehmen. Die von Aron beschriebene Fähigkeit hochsensibler Menschen, über die Auswirkungen von Ideen nachdenken zu können, lässt sich nämlich in so ziemlich jedem Umfeld anwenden und wird auch überall gebraucht. Dass man damit auch anecken kann und sich durchsetzen muss, ist klar. Doch verwirklichen können wir unsere Gabe nur, wenn wir unsere Komfortzone verlassen, uns diesen Problemen stellen und Lösungen dafür finden.
Die eigene Berufung finden – wichtig für uns und die Welt!
Unsere Weltreise, unsere Reise in die Welt hat also viel damit zu tun, unsere wirkliche Berufung zu finden. Denn nur wenn wir ein Lebensziel haben, das uns wirklich „ankickt“, werden wir die Motivation entwickeln, es mit den Unannehmlichkeiten auf dem Weg dorthin aufzunehmen und Lösungen dafür zu finden, denn in der Regel werden unsere Nerven gerade in der heutigen Zeit dabei arg strapaziert werden. Und da wir über viele Begabungen, Ahnungen und Intuitionen verfügen, ist es nicht immer einfach, herauszufinden, was mit den eigenen Fähigkeiten in der eigenen Lebenssituation wirklich das Richtige und Zielführende ist. Doch die Mühe lohnt sich!
Da Hochsensibilität genetisch bedingt ist, und alle höheren Lebewesen 15-20% an hochsensiblen Individuen aufweisen, muss deren Anwesenheit von Bedeutung für das Überleben einer Art sein. Aron schreibt, dass die genetische Disposition durch die Zwillingsforschung bereits belegt sei, und in meinem Artikel Hochsensibilitätsgen von der Migräneforschung gefunden? zeigt sich, dass es tatsächlich Gene gibt, die die Eigenschaften einer erniedrigten Reizschwelle bewirken. Von daher ist es wirklich von Bedeutung, dass wir hochsensiblen Menschen unsere Reise in die Welt antreten, und, was immer wir tun, unsere Gabe einbringen. Ich wünsche Dir eine gute Intuition beim Finden und/oder Ausleben Deiner Berufung und viel Erfolg auf Deiner Reise in die Welt! Und was Erfolg für Dich als hochsensiblen Menschen bedeuten kann, dafür kann man in meinem Artikel Hochsensibel: Was heißt Erfolg? Anregungen finden.
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