Hochsensibilität, Selbstliebe und Energie

Wie viele Hochsensible, hatte auch ich immer wieder Phasen, in denen ich unter einem Mangel an Energie gelitten habe. Doch dazwischen gab es Zeiten, in denen ich vor Energie sprühte. Ich habe jahrelang darüber nachgedacht, woran das liegen kann und mich danach gesehnt, mich wieder so gut zu fühlen. Dabei habe ich jedes Detail meines damaligen Lebens analysiert und mit meinem gegenwärtigen Leben abgeglichen. Lag es an der guten Luft in meinem früheren Wohnort? Lag es daran, dass ich damals Single war und mich meine Beziehung doch viel Energie kostet? Hatte ich damals andere Ernährungsgewohnheiten? Habe ich irgendwie gesünder gelebt? Oder bin ich jetzt einfach nur älter? Aber vor der letzten guten Phase hatte ich doch auch eine schlechtere und da war ich noch jünger? Ich konnte mir lange keinen Reim darauf machen. Zufällig beschäftigte ich mich in letzter Zeit mit dem Thema Selbstliebe und habe dazu einige Übungen gemacht. Und plötzlich sprühe ich wieder vor Energie und fühle mich wie damals!

Mir ist dadurch bewusst geworden, dass ich in den Phasen, wo ich voller Energie war, tatsächlich viel Bestätigung bekommen habe, die meine Selbstliebe gesteigert hat. Da Selbstliebe auch in meinen Coachings zu erstaunlichen Ergebnissen führt, möchte ich heute über den Zusammenhang zwischen Hochsensibilität, Energie und Selbstliebe schreiben.

Die Aufwärts- und die Abwärtsspirale

Man kann im Leben niemals still stehen. Entweder befinden wir uns in einer Aufwärtsspirale. Dann sind unsere inneren Dialoge liebevoll. Wir mögen uns dafür, wie wir sind, sind zufrieden mit dem, was wir leisten, stolz darauf, was wir erreicht haben und voller Freude auf das, was wir noch erreichen können. Jeder dieser Gedanken schraubt uns in der Aufwärtsspirale eine Etage höher. Das ist der Zustand der Selbstliebe.

Oder wir befinden uns in einer Abwärtsspirale. Unsere inneren Dialoge sind dann nicht wertschätzend. Uns nervt die kleine Speckrolle, die sich am Bauch gebildet hat. Bei unseren täglichen Aufgaben fallen uns auch kleinste Fehler auf, unsere Gaben nehmen wir jedoch für selbstverständlich. Es stört uns, dass wir schon wieder müde sind, und dadurch, dass wir uns darüber aufregen, werden wir noch müder und können doch vor lauter Stress nicht abschalten, wenn wir endlich eine Auszeit haben. Jeder dieser Gedanken schraubt uns tiefer in die Abwärtsspirale.

Die schlechte Nachricht: Hochsensible Menschen rauschen extrem schnell in den Keller, wenn sie sich in einer Abwärtsspirale befinden. Die gute Nachricht: Hochsensible Menschen schießen genauso schnell nach oben, wenn sie sich in die Aufwärtsspirale der Selbstliebe begeben. Das liegt wohl an unserer hochempfindsamen Emotionalität und an unserem sehr beweglichen Energiesystem. Wir müssen also wirklich extrem vorsichtig und achtsam sein, wie wir mit uns selber umgehen!

Die Sonnen- und die Schattenseite oder das geteilte Ich

Wir alle kommen als ein ganzer Mensch auf die Welt. Babys und Kleinkinder, die noch nichts Böses erfahren haben, lieben sich einfach so, wie sie sind. Doch je nach Umfeld wird Kindern schnell vermittelt, dass ein Teil ihrer Eigenschaften nicht in Ordnung ist. In einer Handwerksfamilie gelten z.B. Fleiß und körperliche Arbeit als hohe Tugend, während intellektuelle Fähigkeiten missachtet werden. In einer Akademikerfamilie ist das vielleicht genau umgekehrt, dort wird handwerkliches Geschick gering geachtet. Konservative Familien verlangen von ihren Kindern, dass sie sich anpassen, flippige Familien, dass sie auf keinen Fall angepasst sein dürfen etc. Was in einer Familie gefördert und was abgelehnt wird, hängt also ganz von der jeweiligen Subkultur ab.

Am Ende ist es bei fast allen Menschen so, dass die Selbstliebe verloren geht, indem ein Riss das Ich teilt – es entsteht eine Sonnenseite mit Eigenschaften, auf die man stolz ist und die man gern nach außen hin zeigt, und eine Schattenseite mit Eigenschaften, die man so weit in den Hintergrund gedrängt hat, dass man sich derer oft noch nicht einmal mehr bewusst ist. Die Einheit ist verloren, wir fühlen uns unwohl, wissen aber nicht warum, und suchen das Verlorene unbewusst im Außen.

Geht die Selbstliebe einmal verloren, kommt es zu Wenn-Dann-Formeln: Wenn ich nur den Partner finden würde, der mich wirklich liebt, dann wäre alles wieder gut. Wenn ich nur den Erfolg hätte, den ich mir wünsche, dann würde ich mich gut fühlen. Wenn ich nur mehr Geld hätte, dann könnte ich mir endlich das leisten, was ich zu meinem Wohlbefinden brauche. Doch all das ist eine Illusion – das verlorene Paradies liegt in Wirklichkeit in einem selbst. Und ohne Selbstliebe helfen einem der liebste Partner, der größte Erfolg und Millionen von Euro gar nichts.

Bei den meisten von uns ist das Ich also in eine Sonnen- und eine Schattenseite aufgeteilt. Dies kostet uns gleich in doppelter Hinsicht Energie: Zunächst stehen uns die Anteile, die wir in den Schatten gedrängt haben, nicht zur Verfügung. Das kann bei jemandem, der zur Anpassung erzogen wurde, beispielsweise so etwas wie Durchsetzungskraft sein; oder bei jemandem, der zum Fleiß angehalten wurde, Regenerationsfähigkeit. Bei jemandem, der konservativ erzogen wurde, kann die Kreativität blockiert sein, jemand der flippig erzogen wurde, kann Probleme damit bekommen, sich einzufügen etc.

Noch dazu bleibt uns noch nicht einmal die volle Energie unserer Sonnenseite übrig – ein Teil davon wird nämlich benötigt, um die Eigenschaften, die zur Schattenseite gehören, zu unterdrücken. Ein Mangel an bedingungsloser Selbstliebe führt also zwangsläufig auch zu einem Mangel an Energie.

Vier Übungen für mehr Selbstliebe

Hochsensible Menschen spüren von klein auf, dass sie irgendwie anders sind, wie man in meinem Artikel Das Alien-Gefühl: Ursachen erkennen und auflösen nachlesen kann. So lange wir nicht wissen, was eigentlich mit uns los ist, zweifeln wir an uns selbst, weil wir uns ständig mit anderen vergleichen. Deswegen sind wir in einer besonderen Gefahr, unsere Selbstliebe zu verlieren und uns aufgrund unserer inneren Dialoge in eine Negativspirale zu begeben. Doch das kann man z.B. durch die folgenden Übungen mit etwas Ausdauer relativ leicht ändern:

1. Negative innere Dialoge aufdecken und transformieren

Meist laufen die selbst abwertenden inneren Dialoge blitzschnell und unbewusst ab. Wenn man einen plötzlichen Abfall an Energie verspürt, lohnt es sich immer, einmal nachforschen, was man da gerade zu sich selbst gesagt hat. Wenn man diese negativen Überzeugungen aufspürt, kann man bewusst damit arbeiten. Sie einfach in ihr Gegenteil umzukehren ist aber nicht der beste Weg, da wir uns das selbst nicht glauben würden. Besser ist es, sie in einen Satz, der mit den Worten „Vielleicht hat es ja auch sein Gutes, dass…“ beginnt, umzuwandeln.

Ein Beispiel:
Der Satz „So ein Mist, nun bin ich schon wieder müde und schaffe das, was ich mir vorgenommen habe, jetzt nicht.“ wird umgewandelt in: „Vielleicht hat es ja auch sein Gutes, dass ich das jetzt nicht schaffe.“

Dann überlegt man sich, was daran gut sein könnte: Vielleicht bekomme ich noch eine gute Idee und kann das damit viel besser hinbekommen, wie wenn ich es sofort erledigen würde. Vielleicht stoße ich noch auf Informationen, die mir jetzt fehlen. Vielleicht wäre ich zu früh fertig und es steht jetzt noch gar nicht an. Vielleicht fällt das, was ich eigentlich fertig bekommen wollte, später auf einen fruchtbareren Boden. Vielleicht entdecke ich später noch einen Fehler, den ich jetzt nicht finden würde etc.

2. Sich selber loben

Lobe Dich selbst eine Minute lang. Wichtig ist, das Lob laut auszusprechen, um dem, was Du meinst, die volle Bedeutung zu verleihen. Es muss nichts großartiges sein, was Du Dir selber sagst, und man kann sich auch wiederholen, wenn Dir nicht so viel einfällt. Wenn man das ein- bis zweimal täglich tut, beginnt man, positive innere Dialoge zu etablieren, begibt sich so systematisch in eine Positivspirale und damit in die Selbstliebe.

Achte ergänzend darauf, was Dir den Tag über gut gelingt und erwähne das Dir selbst gegenüber sofort lobend. So nimmst Du das Gute nicht mehr für selbstverständlich und schaffst einen Ausgleich zu Deiner Fehlerempfindlichkeit, die für Hochsensible typisch ist. Mehr darüber kannst Du in meinem Artikel Hochsensibilität und Selbstwertgefühl nachlesen.

3. Gehirnsynapsen neu verschalten

Aline Kröger schlägt in ihrem Büchlein Selbstliebe lernen* folgende Übung vor:

Stelle dir vor, deine kognitiven Synapsen im Gehirn sind so verdrahtet wie bei Menschen, die sich selbst lieben. Alles, was fehlerhaft war, ist nun repariert!
(Kindle Edition, Pos. 117)

4. Schattenseiten integrieren

Meist sind uns die Eigenschaften unserer Schattenseite nicht direkt zugänglich, sondern unbewusst. Hier hilft es, sich zu fragen, was man an anderen besonders ablehnt, welche Politiker und Prominente man nicht mag, was einen beim Partner immer wieder auf die Palme bringt und warum.

Natürlich hat das meist auch einen realen Hintergrund außerhalb unserer selbst. Wer vermisst schon Politiker wie Berlusconi. Aber wenn man sich über jemanden so richtig aufregt, kann dort ein Hinweis auf die eigene Schattenseite liegen. Wenn einen z.B. Geltungssucht aufregt, hat man vielleicht ein Problem mit der eigenen Dominanz, wenn Arroganz der Stein des Anstoßes ist, durfte man womöglich seine eigene Überlegenheit nicht zeigen etc. Diese Anteile gilt es neu zu entdecken und zu integrieren.

Es ist gut möglich, dass das zu schwierig ist, um es auf eigene Faust zu schaffen, und es ist keine Schande, sich dafür Hilfe zu suchen. Im Gegenteil – Hilfe annehmen ist ein Zeichen von Selbstliebe! Ich selbst habe dabei viel Hilfe bekommen und gebe dies heute in meinen Coachings weiter.

Selbstliebe verändert einfach alles

Wenn man sich selber liebt, verändert sich das ganze Leben. Man läuft nicht mehr Dingen hinterher, von denen man meint, sie erreichen zu müssen. Jemand, der sich selber liebt, überfordert sich nicht – warum sollte er/sie? Man liebt sich doch so, wie man ist! Alles, was man tut, tut man deshalb aus Freude. Und diese Freude bringt mehr Energie!

Es ist einem auch egal, was andere über einen denken. Warum sollte das eine Bedeutung haben, wenn man sich doch selber so liebt, wie man ist?

Wer sich selber liebt, hält seinen Körper gesund und fit, ernährt sich gesund, pflegt und kleidet sich gut. Man sucht sich ein Umfeld, das einen stärkt und das man stärkt. All das ist Ausdruck von Selbstliebe.

Außerdem ist Selbstliebe ansteckend. Andere werden mit in die Positivspirale hineingezogen, die man aufgrund seiner Selbstliebe aufbaut, und fühlen sich wohl mit uns. Menschen, die sich selber lieben, werden deshalb auch von anderen geliebt! Wenn man seine Schattenseiten integriert hat, hat man es auch gar nicht nötig, andere abzulehnen. Menschen mit Selbstliebe können aufgrund dessen viel offener und toleranter auf andere zugehen. Und wenn sie jemanden nicht mögen, wenden sie sich von ihm ab, ohne ihn zu kritisieren. Leben und leben lassen lautet die Devise!

Menschen, die sich selber lieben, lieben die Welt und haben aus dieser Liebe heraus eine große Freude daran, ihre Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber aufgrund ihrer Selbstliebe tun sie nicht mehr als das, was sie tatsächlich dazu beitragen können. Sie können auch nein sagen, weil sie ihre eigenen Grenzen achten. Und auch das ist wiederum ein Faktor, der am Ende für mehr Energie sorgt.

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4 Gedanken zu „Hochsensibilität, Selbstliebe und Energie“

  1. Hallo Anne-Barbara,
    ich bin so jemand! Jemand, der sich selbst runterzieht, bzw. es ist meist ein Ereignis äußerlicher Art, das mich dann so im negativen Sinne beschäftigt, dass ich in besagte Negativspirale gerate und da nur schwer wieder rauskomme. Dann werde ich immer müder und müder und wünschte mir genau das, was Du beschrieben hast, endlich mal belastbarer und energiegeladner zu sein und zu bleiben! Das zieht einen dann noch weiter runter. Dann bin ich irgendwann von allem enttäuscht und gebe das auf, was ich doch so gerne machen möchte.
    Mein Problem ist auch, dass meine Familie (vor allem meine Eltern) nie hinter mir stand und ich immer nur funktionieren musste. Ich habe zwar den Kontakt abgebrochen und seitdem geht es mir auch besser, aber es kommt immer mal wieder hoch und dann tue ich mir selber so leid, dass ausgerechnet ICH so eine besch…. Familie haben muss, frei nach dem Motto: Was habe ich bloß verbrochen, dass ich sowas verdient habe?
    Manchmal wünschte ich mir halt auch mehr Rückhalt und Motivation von verwandtschaftlicher Seite, aber das kann man getrost vergessen. Meine Tochter kommt auch nur, wenn sie was will (vor allem Geld), aber da ist die Tür mittlerweile auch zu.
    Außer meinen Mann habe ich wirklich niemanden mehr, den ich Familie nennen kann.

    Hast Du schonmal von Byron Katie gehört? Sie hat „The Work“ erfunden. In dieser „Arbeit“ beschäftigt man sich auch mit seinen negativen Gedanken, schreibt sie auf und dreht sie dann rum. So ähnlich, wie das, was Du beschreibst. Ich habe alle ihre Bücher gelesen und obwohl ich das alles weiß, falle ich trotzdem immer wieder in diese Spirale.

    Viele Grüße
    Sabrina

    Antworten
    • Hallo Sabrina,

      vielen Dank für Deinen bewegenden Bericht! Es tut mir leid zu lesen, dass Du so wenig Rückhalt in der Familie hast und Du dadurch leicht in eine Negativspirale gerätst. Gerade wenn man in ungünstigen Verhältnissen aufwächst, wird besonders viel in die Schattenseite gedrängt und das macht einen unglücklich und unzufrieden mit sich selbst. Wir denken dann, es müsste mehr Rückhalt von außen kommen, doch in Wirklichkeit geben wir uns diesen Rückhalt selbst nicht, weil wir so vieles an uns ablehnen.

      Du schreibst, dass Dir der Ansatz von Byron Katie nicht wirklich weitergeholfen hat. Ehrlich gesagt kenne ich ziemlich viele Menschen, denen das so geht. Vielleicht ist es so, dass negative Gedanken nicht die Ursache sind, sondern nur ein Symptom, eben ein Symptom mangelnder Selbstliebe. Meiner Erfahrung nach macht es deshalb sehr viel Sinn, dort anzusetzen. Wichtig ist es, sich ein kleines Selbstliebeprogramm zusammenzustellen und das konsequent täglich zu üben. Denn nur die Kontinuität macht, dass sich das Ganze wirklich im Gehirn etablieren kann und man am Ende zu einem besseren Umgang mit sich selbst gelangt. Wenn Du noch Fragen hast, immer gern! :-)

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

  2. Liebe Anne-Barbara,

    selten habe ich einen so tiefgründigen Artikel über die Liebe zu sich selbst gelesen. Wenn das doch mehr Leute wüssten, wären wir alle schon ein gutes Stückchen weiter.

    Danke

    Alles Liebe Frank

    Antworten
    • Lieber Frank,

      wow, danke Dir für dieses tolle Feedback, das mich sehr freut! :-) Ja, Du hast Recht, wenn das mehr Leute wüssten…

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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