Auf starke Weise zart sein

Hochsensible sind Träger vieler Eigenschaften, die vordergründig gesehen Nachteile aufweisen: Wir haben kein dickes Fell. Die Launen anderer machen uns etwas aus und haben Einfluss auf unser Befinden. Lärm können wir schlecht ertragen. Hunger halten wir nicht lange aus. Wir benötigen mehr Pausen, um unsere Energiespeicher wieder aufzuladen. Wir sind eher introvertiert, leicht zu überrumpeln und in Spontansituationen alles andere als durchsetzungsstark. In unserer heutigen Gesellschaft werden solche Eigenschaften als Schwächen angesehen. Doch sind sie das wirklich? Sind wir tatsächlich uncoole Schwächlinge? Ich meine, diese Frage mit einem eindeutigen und entschiedenen Nein beantworten zu können:

Was heißt Stärke eigentlich?

Wir sind auf zarte Weise stark. Doch was heißt Stärke in diesem Zusammenhang eigentlich? Die Psychologie spricht von Charakterstärke, wenn das Individuum eine von Entwicklungsstörungen unbeeinträchtigte Verfassung aufweist. Diese Definition ist also vollkommen frei von konkreten Eigenschaften. Ich-Stärke entsteht psychologisch gesehen, wenn die Ich-Instanz mit vernünftigen und realitätsgerechten Entscheidungen zwischen divergierenden Forderungen des Es und Über-Ich vermitteln kann. Wenn das Ich jedoch einer der beiden Instanzen unterliegt oder sich der Realität bedingungslos anpasst, wird von Ich-Schwäche gesprochen.

Das heißt, wir sind dann stark, wenn es uns gelingt, unsere Triebe, unsere Moralvorstellungen und Überzeugungen und die Anforderungen der Realität in ein vernünftiges Gleichgewicht zu bringen. Auch das hat nichts mit festgelegten Vorstellungen von Stärke und Schwäche zu tun, sondern ist ein individueller dynamischer Prozess, der sich stets den aktuellen Anforderungen der gegenwärtigen Situation anpassen muss.

Stark scheinen heißt nicht stark sein

Autoritäre Persönlichkeiten beispielsweise erscheinen uns durch ihr entschiedenes Auftreten oft als stark. Doch paradoxerweise weisen sie laut psychologischer Definition eine typische Ich-Schwäche auf: Ihre Ich-Instanz schafft es nicht, zwischen widersprüchlichen Anforderungen zu vermitteln und verfällt daraufhin ganz dem Über-Ich. Obwohl also autoritäre Persönlichkeiten nach außen hin Eigenschaften zeigen, die allgemein als „Stärke“ wahrgenommen werden, sind sie in Wahrheit nicht stark! Wirkliche Ich-Stärke hat nämlich, wie inzwischen deutlich geworden sein müsste, nichts mit festgeschriebenen Eigenschaften zu tun, sondern vielmehr damit, vernünftig mit sich und der Welt umzugehen.

Was uns hochsensible Menschen betrifft, möchte ich dazu auf ein Bild zurückgreifen: Man stelle sich vor, dass jeder Mensch mit einem Werkzeugkoffer voller Eigenschaften auf die Welt kommt, die ihm das Überleben sichern. Bei uns Hochsensiblen ist das nicht anders, sonst hätten nämlich unsere Vorfahren nicht überleben und ihre Gene auch nicht an uns weitergeben können. Die Tatsache, dass es uns gibt, ist der lebendige Beweis dafür!

Wenn wir jetzt in unseren Werkzeugkoffer schauen, werden wir darin wahrscheinlich weniger Dinge wie Hammer, Axt und Kettensäge finden, sondern eher Feinwerkzeuge. Dafür müssen wir uns aber nicht schwach fühlen. Wir dürfen uns nur nicht mit anderen vergleichen. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, wie man ein Problem lösen kann. Und wer eine Kettensäge hat, löst es eben damit. Wir haben dafür etwas anderes parat.

Fazit: Solange wir uns selbst treu bleiben, sind wir Hochsensible stark

Ich-Schwäche entsteht in unserem Fall nur, wenn wir uns überangepasst verhalten. In der Folge meinen wir, mit der Axt zuschlagen zu müssen, obwohl wir dafür nicht gemacht sind. Im Vergleich zu anderen, die damit wunderbar umgehen können, machen wir dann eine schlechte Figur.

Wenn wir den Mut haben, uns selber treu zu bleiben, und den Blick in die eigene Werkzeugkiste zu wagen, werden wir feststellen, dass auch wir für alles eine Lösung haben. So bleiben wir unserem Wesen treu und sind auf zarte Weise stark.

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