Weihnachten steht vor der Tür, und diejenigen, die sich darauf ungetrübt freuen können, haben Glück! Vielen Hochsensiblen geht es jedoch so, dass sie den Festtagen zumindest mit gemischten Gefühlen oder gar mit Bauchweh entgegen sehen. Denn nach der arbeitsreichen und hektischen Vorweihnachtszeit wartet nun nicht erholsame Ruhe auf uns, sondern es kommen anstrengende familiäre Verpflichtungen auf uns zu und damit das Zusammentreffen mit Menschen, mit denen uns der Umgang nicht immer leicht fällt. Eltern können sich eben ihre Kinder nicht aussuchen, Kinder nicht ihre Eltern, und Verwandte sind nicht zwingend auch Wahlverwandte. Dabei prallen noch die unterschiedlichsten Vorstellungen aufeinander, wie das Ganze abzulaufen hat, oft nach jahrzehntelang eingespielten Ritualen, die ein früheres Lebensgefühl widerspiegeln, sich aber inzwischen überholt haben. Da ist viel Druck am Werk, den wir Hochsensible nicht gut vertragen.
Viele stellen sich die Frage: Muss ich das so durchstehen oder wage ich einen Befreiungsschlag? Ersteres ist unerträglich und zweiteres zieht womöglich Konsequenzen nach sich, die ebenso unerträglich erscheinen. Doch was man leicht übersieht, ist, dass es auch zwischen diesem Entweder-Oder viele Freiräume gibt, die nur entdeckt werden wollen. Das geht beispielsweise über die folgenden drei Schritte:
Schritt 1: Verpflichtungen überprüfen
Was heißt es eigentlich genau, verpflichtet zu sein? Wenn man mit bestimmten Menschen nur widerwillig Zeit verbringt, ist höchstwahrscheinlich zuvor etwas geschehen, das zu dieser Gefühlslage geführt hat. Vielleicht wurde man von den Eltern für grundsätzliche Lebensentscheidungen abgelehnt? Sie hatten etwas gegen die Berufswahl, gegen den neuen Lebenspartner, gegen das dritte Kind? Sie haben sich geweigert, Bedürfnisse zu berücksichtigen, die einem wichtig sind, beharren unflexibel auf althergebrachten Gepflogenheiten?
Sollte das der Fall sein, gilt es, das eigene Verpflichtungsgefühl noch einmal zu überdenken. Denn auch Verwandte, und sogar sehr enge Verwandte, sind Menschen, die sich an bestimmte zwischenmenschliche Regeln zu halten haben. Und wenn sie in wesentlichen Punkten dagegen verstoßen, wiegt dies stärker als Blutsbande. Denn Verpflichtung ist keine Einbahnstraße – sie beruht auf Gegenseitigkeit! In egal welcher Verbindung auch immer sind beide Teile dazu verpflichtet, das Wohl des jeweils anderen im Auge zu behalten. Und wenn jemand diese Verpflichtung aufkündigt, kann er sie im Gegenzug auch nicht mehr einfordern.
Es geht in diesem ersten Schritt nicht darum, sich von jemandem, der einem eigentlich nah steht oder zumindest nah stehen sollte, endgültig loszusagen. Vielmehr geht es darum, dass dieses Gefühl von „Verpflichtung“ das eigene Denken einengt. Gut möglich, dass dieses Verpflichtungsgefühl gar nicht auf eigenen Grundsätzen beruht, sondern die Auswirkung einer Manipulation seitens der Gegenseite darstellt, die unbedingt an alten Gepflogenheiten festhalten möchte. Und wenn man dieses Verpflichtungsgefühl hinterfragt und den Anteil auflöst, der von außen kommt, ist man bereit für Schritt 2.
Schritt 2: Innere Freiheit zulassen
Wenn du dich von Verpflichtungsgefühlen gelöst hast, die von anderen kommen, bist du nun ganz bei dir. Erlaube dir jetzt, ehrlich zu dir selbst zu sein und dir anzuschauen, was eigentlich deine Gefühle sind. Du darfst für dich selbst Partei ergreifen! Du hast, wie jeder Mensch, ein Recht darauf, Weihnachten so zu verbringen, dass es dir gut geht! Wie ist dein Grad der Verbundenheit mit diesen Menschen, denen du dich zuvor noch verpflichtet gefühlt hattest, wirklich? Was ist diesem Grad deiner tatsächlichen Verbundenheit an weihnachtlichem Umgang angemessen?
Es kann tatsächlich sein, dass du die Feiertage dann nicht mehr mit diesen Menschen verbringen möchtest, und auch das ist vollkommen o.k. Du darfst in diesem Fall Deine Konsequenzen ziehen. Wenn andere Menschen Fehler gemacht haben und auf diesen beharren, statt sie zu bereuen, ist das deren Verantwortung. Trage du nun Verantwortung für dich.
Zwischen den beiden Polen, alles mitzumachen oder einen Schnitt zu vollziehen, entfaltet sich nach dieser inneren Befreiung ein breites Spielfeld der Möglichkeiten. Wenn du dich diesen Menschen noch verbunden fühlst, aber eben nicht mehr so wie früher, so dass du andere Formen des Beisammenseins als adäquater betrachten würdest, kannst du jetzt zu Schritt 3 übergehen.
Schritt 3: Alternative Ideen entwickeln
Nun geht es darum, die Feiertage neu zu überdenken und so zu gestalten, wie es für dich angemessen ist. Mache zunächst ein Brainstorming, in dem du alle Ideen, die dir einfallen, aufschreibst und sammelst, egal wie absurd und nicht umsetzbar sie dir erscheinen. Du kannst später darüber nachdenken, welche Ideen du übernehmen möchtest; sei jetzt einfach einmal ganz offen und lasse alles zu.
Wenn dein Brainstorming abgeschlossen ist und du alle Ideen aufgeschrieben hast, bewertest du die gefundenen Lösungsmöglichkeiten. Du kannst dafür einfach die Worte „gut, mittel, schlecht“ verwenden, oder eine Skala von 1-10, wobei 1 schlecht und 10 genial bedeutet. Danach hast du einen guten Überblick und suchst dir aus, welche Ideen du umsetzen möchtest. Diese probierst du dann aus.
Und nach den Feiertagen reflektierst du, wie gut die Umsetzung geklappt hat und wie du dich mit dieser Art zu feiern gefühlt hast. Hast du dein Ziel erreicht, dich an Weihnachten frei und froh zu fühlen? Wenn ja, super! Wenn nein, hebe dir deine Liste für das nächste Jahr auf. Vielleicht fallen dir dann noch mehr Lösungsideen ein, um die du deine Liste ergänzen kannst. Oder du findest auf deiner Liste weitere Ideen, die einen Umsetzungsversuch wert sind.
In diesem Sinne wünsche ich meinen hochsensiblen Leserinnen und Lesern freie und frohe Weihnachten!
Clipart Christmas Tree von Firkin auf freesvg.org
Zurück zu hochsensibel sein
Liebe Anne-Barbara,
„Freie Weihnachten“ – ganz am Ende Deines sehr inspirierenden Beitrags steht, was uns mit dem Erwachsenwerden letztlich (fast) allen abhanden gekommen ist.
Für mich wurde aus dem als Kind gefühlten „Frohen Fest“ mit viel Emotionen, wenigen und beglückenden Geschenken, dem Krippenspiel und dem echten Baum mit echten Kerzen ein scheinheiliges Weihnachten, als ich zum Vater wurde. Weil es weiterhin das Weihnachten meiner Elterngeneration geblieben ist (im speziellen hier das meiner Schwiegereltern).
Wiederholt habe ich Deinen Blogbeitrag in diesem Zusammenhang zu den Kriegsenkeln (https://hochsensibelsein.de/hochsensible-kriegsenkel/) gelesen. Mit Spannung erwarte ich die beiden Bücher (Die vergessene Generation, Kriegsenkel…) – die ich mir nicht zu Weihnachten schenke, aber zu der Zeit lesen werde.
Ich sehe dort unbedingt einen Zusammenhang. Deine oben skizzierten Lösungsansätze sind so einfach wie wirkungsvoll und ich möchte hiermit allen Lesern nochmals darin bestärken:
Denke an Dich! Bleibe Dir und Deinen Gefühlen treu. Deine Umgebung wird auch Deine Veränderung „ertragen“ – vielleicht leichter, als Du es aktuell projezierst.
Von Anne-Barbara stammt der Kern des Satzes, der hier aus meinem Gefühl am besten paßt:
Was für Dich nicht gut ist, kann auch für deine Umwelt nicht gut sein!
In meiner Familie wird es dieses Jahr ein besonderes – nämlich erstmalig ganz anderes – Prozedere geben. Und darauf freuen wir uns in unserer Kernfamilie schon sehr. Und dem Rest der Familie lassen wir seine Freiheit finden… ganz und gar ohne uns.
Ich wünsche uns allen eine schöne Zeit, welche Vokabel auch immer die folgenden Tage beschreibt
Henry
Lieber Henry,
danke Dir für Deinen Bericht und dass Du Deine Gedanken mit uns teilst! Pantha rhei – alles fließt – sagten schon die alten Griechen. Und wenn solche Feste stehen bleiben, sich dem Fluss des Lebens nicht anpassen, dann wird es genau, wie Du es beschreibst.
Du wirst ein freies Weihnachten haben. Ich freue mich für Dich! :-D
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara