Gemeinwohl-Ökonomie – Wirtschaft für Hochsensible

Wenn ich an meine vielen Kontakte zu hochsensiblen Menschen denke, stelle ich fest, dass sie sich in extrem unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen befinden. Da gibt es die volle Bandbreite, vom Top-Börsenmakler, der mit Hilfe seiner Intuition ein Vermögen gemacht hat, bis hin zu Menschen, die sich aufgrund ihrer Hochsensibilität gerade in einer beruflichen Krise befinden. Was aber alle gemeinsam haben, ist, dass sie sich im Bereich Wirtschaft nicht unbedingt wohl fühlen. Und schon gar nicht so, wie unsere kapitalistische Gesellschaft gerade funktioniert. Sie sehnen sich nach etwas anderem, etwas, wo alle aufblühen, wo nicht Egoismus und Gier, sondern stattdessen ein nachhaltiges Gemeinsinndenken herrscht. Das betrifft übrigens nicht nur Hochsensible! Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2010 ergab, dass sich 88% der Deutschen und 90% der Österreicher eine neue Wirtschaftsordnung wünschen, die den Schutz der Umwelt und den Ausgleich sozialer Unterschiede stärker berücksichtigt [Christian Felber, S. 1]. Doch wie lassen sich Wirtschaft und Ethik miteinander vereinbaren? Was das betrifft, gibt es derzeit viele Visionen und Überlegungen! Eine davon möchte ich heute vorstellen, die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung.

Was heißt Gemeinwohl-Ökonomie?

Mit Geld kannst du
ein Haus kaufen, aber kein Zuhause,
eine Uhr, aber keine Zeit,
ein Bett, aber keinen Schlaf,
ein Buch, aber kein Wissen,
einen Arzt, aber keine Gesundheit,
eine Position, aber keinen Respekt,
Sex, aber keine Liebe,
Blut, aber kein Leben.

[Gemeinwohl-Handbuch, S. 2]

Die Gemeinwohl-Ökonomie baut auf den gleichen Grundwerten auf, die auch unsere Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen. Die Grundannahme dahinter ist, dass gelingende Beziehungen Menschen am meisten motivieren und glücklich machen. Dementsprechend soll der rechtliche Anreizrahmen für die Wirtschaft weg von Gewinnstreben und Konkurrenz und hin auf Gemeinwohlstreben und Kooperation orientiert werden. [Christian Felber, S. 1]

Die Gemeinwohl-Ökonomie beruht auf 5 Säulen:

  1. Menschenwürde
  2. Solidarität
  3. Ökologische Nachhaltigkeit
  4. Soziale Gerechtigkeit
  5. Demokratische Mitbestimmung

Säule 1: Menschenwürde

Zu aller erst sollte man selbst als Individuum darauf achten, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Das heißt, sich selbst wert zu schätzen, sich genügend Zeit für sich zu nehmen und sich selbst gut zu behandeln. Denn wer das bei sich selbst gut kann, kann das auch gut bei anderen. Die Bedürfnisse dieses Bereichs sind Respekt, Achtung und Wertschätzung. In Beziehungen heißt das, Augenhöhe herzustellen, sich weder als etwas besseres oder schlechteres als sein Gegenüber zu sehen. Menschenwürde heißt, Teil einer Wertegesellschaft zu sein.

Säule 2: Solidarität

Hier ist der Mensch in der Rolle des Nachbarn, der Nachbarin, gezeichnet. Die Bedürfnisse dieser Säule sind Anteilnahme, Empathie und Vertrauen. Es gilt, persönliche Beziehungen herzustellen, in denen man andere wirklich sieht und auch wirklich gesehen wird. Solidarität heißt, Teil einer Schenkgesellschaft zu sein.

Säule 3: Ökologische Nachhaltigkeit

Hier richtet sich die Achtsamkeit auf unsere Rolle als Konsument. Wie nachhaltig ist mein Konsumverhalten? Kaufe ich ständig Neues, oder repariere ich Dinge? Die Bedürfnisse sind Stabilität und die Erhaltung der Lebensgrundlagen. Es wird eine Beziehung zwischen mir, der Natur und zukünftigen Generationen hergestellt. Ich lebe als Teil einer nachhaltigen Suffizienzgesellschaft.

Säule 4: Soziale Gerechtigkeit

Hier betrachten wir uns in der Rolle des Mitmenschen. Die Bedürfnisse sind Harmonie, Frieden und Sicherheit. Es wird eine systemische Beziehung zwischen dem „Ich“ und dem „Wir“ und damit eine soziale Verbundenheit hergestellt. Soziale Gerechtigkeit heißt, Teil einer Tauschgesellschaft zu sein.

Säule 5: Demokratische Mitbestimmung

An dieser Stelle achte ich auf meine Rolle als Bürgerin bzw. Bürger. Die Bedürfnisse hier sind Freiheit und Eigenverantwortung. Wir stellen Beziehungen zwischen dem „Ich“ und politischen Strukturen her und leben in einer Teilhabegesellschaft.

[Gemeinwohl Handbuch, S. 4]

Auf dem Weg zur Gemeinwohl-Ökonomie…

Doch wie kommen wir dahin? Ich persönlich bin eine ganz große Befürworterin der persönlichen Veränderung. Denn jeder von uns hat die Möglichkeit, die Welt in seinem Einflussbereich ein klein wenig besser zu machen. Und als Teil einer Gemeinschaft sind wir fähig, gemeinsam zu gestalten und zu verändern! Andreas Tenzer, ein von mir sehr geschätzter Kollege, schrieb dazu:

Die Welt braucht keine verbissenen Weltverbesserer, sondern Selbstverbesserer, denn jeder, der den spirituellen Imperativ lebt, rettet sich selbst und somit den Teil der Welt, auf den er unmittelbaren Einfluss hat.

Die Erkenntnis, dass die Veränderung immer zuerst in uns selbst stattfinden muss, gibt uns die Kraft, unser Ohnmachtsgefühl zu überwinden und stattdessen Meinungen, Vorurteile, Sichtweisen zu hinterfragen, zu neuen Leitbildern zu kommen und neue Prioritäten zu setzen.

Denn wir sind Teil der Gesellschaft und sollten uns zunächst fragen, wo wir derzeit mit unserem – sicher auch notwendigen – Egoismus stehen, und was wir konkret in Bezug auf die Gemeinschaft von Menschen, mit denen wir tagtäglich umgehen, verbessern können: Der Weg vom ICH über das DU zum WIR. Die Fragen dabei sind:

  • Wie solidarisch und nachhaltig lebe ich zurzeit?
  • Wie wichtig sind mir Gerechtigkeit, Menschenwürde und demokratische Mitbestimmung?
  • Was kann ich selbst konkret zum „ganzheitlichen Wohlstand“ beitragen?

Wie Gemeinwohl fühlst du dich? Mache den Test!

Die Gemeinwohl-Ökonomie Steiermark hat dazu einen online Selbsttest erstellt:

Online Selbsttest: Wie steht es um deinen Gemeinsinn?

Dort werden zu jeder der fünf Säulen fünf Impulsfragen gestellt, die dir zeigen, wo du schon eine Menge tust, und dir Anregungen geben, wo du vielleicht noch mehr tun könntest. Die Maximalpunktzahl sind 1000 Punkte (ich bin überrascht und auch ein wenig stolz darauf, dass ich 800 Punkte erreicht habe).

Als Ergänzung zum Selbsttest gibt es noch das

Gemeinwohl-Handbuch zum GWÖ-Test für Privatpersonen

als PDF zum Gratis-Download. Ich finde dieses Handbuch sehr empfehlenswert, weil es eine Fundgrube von Möglichkeiten beinhaltet, was jeder einzelne tun kann. Also raus aus der Ohnmacht und rein ins Handeln!

Übrigens, wer sich mit Gleichgesinnten vernetzen möchte, es gibt ein flächendeckendes Netz an Regionalgruppen, die sich regelmäßig treffen:

Gemeinwohl Regionalgruppen

Abschließend noch eine kleine kritische Anmerkung…

So schön ich den Test und das Handbuch auch finde, habe ich doch noch eine kleine kritische Anmerkung. Denn es gibt bei den fünf Säulen einige Widersprüche in sich. Z.B. heißt Menschenwürde für sich selbst herstellen, dass man sich genügend Zeit für sich selber nimmt. Im Bereich der Ökologie soll man aber öffentliche Verkehrsmittel benutzen und sein Gemüse möglichst selbst anbauen.

Jetzt möchte ich gern wissen, wie ich bitte mein Gemüse selbst anbauen (dazu muss ich auf dem Land leben und einen Garten zur Verfügung haben), öffentliche Verkehrsmittel benutzen (damit sieht es auf dem Land ziemlich schlecht aus und dauert ewig) und dabei noch genügend Zeit für mich haben soll?! So ganz alltagstauglich ist das Konzept also nicht. ;-)

Diesen kleinen Einwand möchte ich mit dir, lieber Leserin und liebem Leser, gern noch teilen, damit du nicht in den Stress gerätst, all diesen Kriterien der fünf Säulen gerecht werden zu müssen. Suche dir stattdessen einfach ein paar Dinge aus, die du gut umsetzen kannst, und schon wird die Welt wieder ein wenig besser. Das würde mich freuen! :-D

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2 Gedanken zu „Gemeinwohl-Ökonomie – Wirtschaft für Hochsensible“

  1. Liebe Anne-Barbara!

    Toll, dass du ein Thema einfach so aufgreifst, weil es für uns alle wichtig ist, sicher nicht nur für die Hochsensiblen. Ohne dieses Gemeinwohldenken, werden die globalen, regionalen, sozialen und ökologischen Krisen immer größer werden. Es ist auch sicherlich so, dass sich Hochsensible leichter tun, diese Gedanken nachzuvollziehen.
    Und die Widersprüche, die du beschreibst kann ich auch voll und ganz nachvollziehen. Ich bin etwa in einer grünen Gemeindegruppe. Wenn man mal als Grüner sichtbar wird, dann glauben alle, wir dürften keine Annehmlichkeiten mehr in Anspruch nehmen und nur Energie sparen usw. Dies hällt jedoch kaum ein Mensch durch, und ich möchte auch alle ermutigen, einfach einen eigenen stimmigen Weg zu finden, ohne sich selbst all zu sehr unter Druck zu setzen.
    Und gerade im Wirtschaftsleben ist es so, dass man Gemeinwohl mit einer gesunden Portion Egoismus verbinden sollte. Ich bin schon so oft ausgetrickst worden, weil ich dachte, die anderen würden auch sozial denken. Der beste Weg für Hochsensible ist sicher der, ihre Stärken einzusetzen und damit erfolgreich zu sein. Ist aber auch leichter gesagt als getan.
    Nochmals vielen Dank für deine wertvollen Beiträge.

    mit lieben Grüßen Herbert

    Antworten
    • Lieber Herbert,

      vielen Dank für Dein nettes Feedback und Deinen Bericht!

      Du hast Recht, das ist auch noch eine Gefahr: Wenn man sehr sozial denkt, kann es einem leicht passieren, dass man denkt, die anderen wären genauso. Und das sind sie nicht unbedingt! Darauf dürfen wir als Hochsensible auch gut aufpassen…

      Stärken einsetzen und erfolgreich sein klingt gut! :-) Lass‘ uns daran arbeiten…

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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