Hochsensibilitätsgen von der Migräne-Forschung gefunden?

Im Juli diesen Jahres hat es mich richtig erwischt: Nachdem ich über ein Jahr lang gar keine Probleme mit Migräne gehabt hatte, ging es plötzlich wieder los. Diesmal kam es besonders schlimm, ich lag zwei Wochen lang im abgedunkelten Schlafzimmer. Als mein Hirn es mir endlich wieder erlaubte, es zum Lesen zu benutzen, lud ich mir das Buch Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne* von Hartmut Göbel, dem Leiter der Kieler Schmerzklinik, auf meinen Kindle. Nicht nur, dass ich dort meine Migräneauslöser entdeckt habe und zukünftig viel besser damit werde umgehen können, die Kieler Schmerzforscher sind auf genetische Besonderheiten bei Migränikern gestoßen, die sich auffallend mit den Definitionen der Hochsensibilität decken. Ich zitiere:

Die gefundene genetische Variante auf Chromosom 8 steuert über die in der Nachbarschaft liegenden Gene PGCP und MT-DH die Menge des Nervenüberträgerstoffes Glutamat in den Nervenübergängen. Glutamat aktiviert wichtige Nervenfunktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration und Wahrnehmung.  (Pos. 827-29)

Betroffene [dieser genetischen Variante] charakterisieren sich durch eine hohe Aufmerksamkeitsleistung. Sie sind in der Lage, Reize sehr genau zu differenzieren. […] Auch gewöhnen sie sich nicht an wiederholte Reizdarbietungen, sondern bleiben auf wiederkehrende Reize konzentriert. Sie charakterisieren sich durch eine besonders hohe Wahrnehmungsempfindlichkeit und hohe Aktivierungsbereitschaft ihres Nervensystems. Durch einen u.a. genetisch bedingten hohen Glutamatspiegel scheint es möglich, dass die Übertragung der Nervenimpulse über den sog. synaptischen Spalt zwischen den Nerven sehr schnell, nachhaltig und intensiv erfolgt. (Pos. 841ff)

Das Gehirn von Migränepatienten reagiert aktiver. Die Größe der Spannungsverschiebung [im EEG] ist deutlich größer als bei anderen Menschen. Während bei Gesunden die Spannungsverschiebung nach mehreren Messungen zunehmend kleiner wird (=habituiert), bleibt sie bei Migränepatienten hoch. Diese Messungen sind ein wichtiger Beleg dafür, dass das Gehirn von Migränepatienten offensichtlich besonders aktiv auf Reize reagiert […] Das Gehirn kann anscheinend nicht abschalten und steht im wahrsten Sinne des Wortes unter ‘Hochspannung’! Der Energieverbrauch in den Nervenzellen ist zu hoch! Die Energie-Pumpen können nicht genügend Energie nachliefern. Folge: Die Nervenfunktion bricht zusammen. (Pos. 1194ff)

Somit kann angenommen werden, dass in der Entstehung der Migräne u.a. eine Hyperaktivität von Nervenzellen und ein Energiedefizit im Gehirn besteht. Hier schließt sich der Kreis zur modernen Genforschung, die eine genetische Besonderheit in der Energieversorgung von Nervenzellen von Migränepatienten bestätigt. (Pos. 1202ff)

Das schließe ich aus diesen Zitaten

Es wurde also nicht nur eine genetische Variante auf Chromosom 8 gefunden, genau bei dieser Personengruppe ließ sich die erhöhte Hirnaktivität auch im EEG nachmessen! Was auch noch sehr spannend ist: Nach den von Hartmut Göbel zitierten Forschungsergebnissen haben ca. 20% der Menschen diese genetische Besonderheit, was genau dem Prozentsatz entspricht, der auch in der Hochsensibilitätsforschung immer wieder auftaucht.

Die Forscher haben übrigens zwei Migräne-Gene ausgemacht; das eine, hier beschriebene, deckt sich mit der Hochsensibilität, das andere befindet sich auf Chromosom 1 und betrifft den Energiehaushalt der Zellen. Migräne entsteht, wenn beides zusammentrifft, sowohl die Hyperaktivität des Gehirns durch den erhöhten Glutamatspiegel aufgrund des Gens auf Chromosom 8, als auch eine schlechte Energieversorgung der Zellen durch das Gen auf Chromosom 1.

Göbel beschreibt die Entstehung eines Migräneanfalls in seinem Buch* so, dass man vor dem Hintergrund Hochsensibilität nicht umhin kommt, ihn als körperliche Manifestation einer Reizüberflutung zu sehen. Jetzt wäre es natürlich sehr spannend, zu erfahren, ob es unter HSP viele Migräniker gibt, von daher hoffe ich auf Ihre Kommentare. Meine Nachforschungen im Bekannten- und Familienkreis haben jedenfalls ergeben, dass so gut wie jede hochsensible Person auch, zumindest hin und wieder, von Migräne betroffen ist. Dies ist aber keinesfalls repräsentativ, sondern nur eine erste Erkundung.

Was das für das Thema Hochsensibilität bedeutet

Was das Thema Hochsensibilität betrifft, kommen mir aufgrund dieser Forschungsergebnisse folgende Gedanken: Die genetisch bedingte hohe Aktivität des Gehirns durch mehr Glutamat in den synaptischen Spalten der Nervenzellen wäre ja eigentlich ein Vorteil, hätte dies nicht den Nachteil, dass sich der Energieverbrauch des Gehirns erhöht und die Energieversorgung der Nervenzellen dadurch instabil wird. Dies führt dann zu einer Anfälligkeit für Reizüberflutung bis hin zu Migräneattacken. Ohne diesen Nachteil hätte sich das Gen womöglich in der gesamten Menschheit durchgesetzt. Dadurch, dass ein Teil der Menschen dieses Gen trägt, kann die Menschheit insgesamt dennoch von dieser Eigenschaft profitieren, ohne dass alle von deren Nachteilen betroffen sind.

Wenn also dieses Gen tatsächlich „das Hochsensibilitätsgen“ wäre, würde das folgendes bedeuten: Hochsensible Personen bewegen sich, was ihre Hirnaktivität betrifft, in einem Grenzbereich des materiell umsetzbaren. Wenn Du hochsensibel bist, achte also auf Dich: Wichtig ist, regelmäßig zu essen, denn das Nervensystem braucht Kohlenhydrate. Lieber einmal eine kleine Zwischenmahlzeit einlegen, als längere Zeit zu hungern. Gönne Dir die Pausen, die Du benötigst, um Deine Tanks wieder aufzufüllen. Dein Gehirn wird es Dir danken!

Nachtrag vom 20.1.2018: Dieser Blog-Artikel ist jetzt schon einige Jahre alt. Inzwischen hat sich bei mir viel getan. Ich habe einige Ursachen für meine Migräne gefunden und nach und nach ausgeräumt. Inzwischen kann ich mich als fast migränefrei bezeichnen. Es geht mir gut! :-D

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62 Gedanken zu „Hochsensibilitätsgen von der Migräne-Forschung gefunden?“

  1. Hallo zusammen,

    ich bin meinen jahrelangen Forschungen und den üblichen Tests nach auch hochsensibel, oder besser gesagt/geschrieben: Hoch neurosensitiv. Auch habe ich seit einigen Jahren immer mal wieder mit Migräne zu tun.

    Ich werde, angeregt durch den Artikel, bei den nächsten Anzeichen einer aufkommenden Migräne, neben meinen bisherigen Maßnahmen mal probieren mein Gehirn mit schneller Energie zu versorgen. Was ja dem Konsum von schnell verarbeitbarem Zucker bedeuten sollte, oder? Wofür Industriezucker dann am besten geeignet wäre, soweit ich weiß. Vielleicht auch Traubenzucker?

    Gruß

    Jakob

    Antworten
    • Hallo Jakob,

      tut mir leid, dass es auch dir wegen Migräne hin und wieder nicht gutgeht! Ich würde dir raten, keinen Zucker zu verwenden. Denn der sorgt zwar für einen extrem schnellen Anstieg des Blutzuckerspiegels. Daraufhin schüttet die Bauchspeicheldrüse aber extrem viel Insulin aus, was den Blutzucker dann wieder in den Keller rauschen lässt. Solch starke Blutzuckerschwankungen sind kontraproduktiv für die Energieversorgung.

      Deswegen würde ich dir raten, lieber komplexe Kohlenhydrate in Verbindung mit etwas Fett zu dir zu nehmen. Vollkornprodukte lassen den Blutzuckerspiegel langsamer ansteigen. Fett verstärkt diesen Effekt, weil es schwerer verdaulich ist und die Verdauung bremst. So kommt es zu einem langsam ansteigenden und konstanten Blutzuckerspiegel ohne allzu hohe Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. Ich hoffe, das hilft dir weiter!

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

  2. Hallo Anne-Barbara,
    ich hatte früher, bis zur Jugend ungefähr öfter massive Migräneanfälle.
    Meiner Meinung Überforderung, schlechter Schlaf, falsche Ernährung – ich war als Kind ein sehr schlechter Esser. Meine HS habe ich erst jetzt vor zwei Wochen festgestellt, vorher nicht wirklich davon gehört.
    Ich hab Stoffwechselprobleme, vertrage Fette nicht so gut, Fleisch, und ich denk zu viel Glutamat ist auch nicht gut, wobei es sich jetzt scheinbar wieder alles am einstellen ist, nach einer kleinen Darm-OP;
    Hatte oder hab eine Insolinresistenz, Allergien gegen Hunde, Katzen und Gräser (hab aber ne Katze, klappt gut)
    Migräne hab ich kaum noch.
    Ich verstehe mein Leben jetzt viel besser, kann viele Situationen viel besser neu einordnen…
    Aber muss noch lernen damit umzugehen, die Gabe und Talente zu steuern und Hilfreich einzusetzen…. manches ist mit den Jahren eingeschlafen oder hab ich verbunkert…. und ganz sicher auch ein schlechter Lebenswandel trugen dazu bei…. aber ist ja noch nicht aller Tage Abend.

    liebe Grüße
    Michael

    Antworten
    • Hallo Michael,

      vielen Dank für das Teilen deiner Geschichte! Gut, dass du jetzt weißt, dass du hochsensibel bist. Wenn ich deine Symptome lese, könnte es sein, dass noch eine Grunderkrankung dahinter steckt, nämlich Fibromyalgie. Was das ist, welche Symptome auftreten können und wie du dies mit Guaifenesin behandelst, findest du hier:

      https://www.fibromyalgie-guaifenesin.info/de/fibromyalgie/symptome-der-fibromyalgie/

      Und falls du noch Fragen hast, immer gern.

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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