Die Frage, die sich unmittelbar an meinen letzten Beitrag Vom Nutzen der Nutzlosigkeit – hochsensibel im Beruf anschließt, ist, was erfolgreich sein überhaupt heißt. Eigentlich ist die Antwort ganz einfach: Erfolg haben heißt, das, was man sich gewünscht hat, auch zu erreichen. Doch so selbstverständlich das klingen mag, wirft dieser Satz mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Denn laut dieser Aussage hängt Erfolg unmittelbar davon ab, was man sich gewünscht hat. Und hier steckt die große Unbekannte. Was wünschen wir uns denn wirklich? Zum Beispiel wünschen sich viele Leute mehr Geld. Hinter einem solchen Wunsch können jedoch verschiedene Bedürfnisse stecken. Natürlich gibt es in unserem Land genügend Menschen, die nicht ausreichend Geld verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In diesem Fall passen Wunsch und Bedürfnis zusammen. Doch was ist mit denen, die objektiv gesehen genügend haben und sich trotzdem mehr Geld wünschen? Oft stecken unbewusst ganz andere Bedürfnisse dahinter, z.B. nach Sicherheit, nach Anerkennung, Zugehörigkeit etc. Dann fallen der bewusste Wunsch und das dahinter verborgene unbewusste Bedürfnis auseinander.
Problematisch daran ist, dass man sich nicht besser fühlt, wenn man sein vordergründiges Ziel erreicht hat, weil ja das dahinter liegende Bedürfnis ein ganz anderes ist und sich nicht unbedingt, um bei unserem Beispiel zu bleiben, mit mehr Geld befriedigen lässt. Man meint dann, man hätte sein Ziel noch nicht erreicht und will immer mehr Geld. Obwohl es nach außen hin so scheint, als hätte dieser Mensch Erfolg, weil er es zu Wohlstand gebracht hat, bleibt er ein Getriebener. Denn in Bezug auf sein wahres Bedürfnis ist er erfolglos geblieben.
Zwei Arten von Erfolg
Ich denke, mittlerweile dürfte klar geworden sein, warum die Frage, was Erfolg heißt, nicht leicht zu beantworten ist. Es gibt nämlich zwei Arten von Erfolg. Einerseits ist Erfolg das, was gesellschaftlich darunter verstanden wird. Das bedeutet in erster Linie, welchen Status jemand in dem, was er beruflich oder privat tut, erreicht hat. Ein Vorarbeiter scheint erfolgreicher als ein Arbeiter, eine Rektorin erfolgreicher als eine Lehrerin, ein Schüler mit guten Noten erfolgreicher als einer mit mittelprächtigen. Wenn jemand Börsenmakler geworden ist, dann hat er natürlich mehr Erfolg, wenn er mehr verdient, für sich und seine Kunden. Ein Koch hat umso mehr Erfolg, je besser es seinen Gästen schmeckt, etc. Hier haben wir es mit bestimmten Normvorstellungen für Erfolg zu tun, grob gesagt das, was Eltern stolz auf ihre Kinder sein lässt.
Andererseits hat Erfolg jedoch eine persönliche Komponente, nämlich das zu erreichen, was man sich wirklich wünscht, der bzw. die zu sein, die man wirklich ist, das eigene Potenzial wirklich entfalten zu können. Dieser persönliche, innere Erfolg hängt davon ab, ob man es schafft, seine wirklichen Wünsche überhaupt zu spüren und, falls ja, sie auch tatsächlich im Leben zu verfolgen und umzusetzen.
Die eigenen Wünsche spüren und verwirklichen
Für hochsensible Menschen ist es schwieriger, die eigenen Wünsche wirklich zu spüren. Grund dafür ist, dass wir allgemein weniger abgegrenzt sind. Dadurch merken wir nicht so genau, wo das Du aufhört und das Ich anfängt und tendieren zu einem Lebensgefühl, dass wir doch alle irgendwie eins sind. Aufgrund dieses etwas verschwommenen Ich-Gefühls (das viele von uns übrigens durchaus genießen, weil es einen in eine Harmonie mit dem großen Ganzen bringt), können wir auch oft weniger gut unterscheiden, was unsere Wünsche sind, und was Erwartungen sind, die von außen an uns herangetragen werden. Hier gilt es also, sich genau bewusst zu machen, woher das, was wir uns wünschen, kommt, und genau hinzusehen, wohin wir streben, ob das wirklich unsere Richtung ist.
Und wenn wir es dann geschafft haben, unsere wahren Ziele herauszufinden, bleiben noch die Umsetzungsschwierigkeiten. Die erste Hürde dabei ist, sich den Erwartungshaltungen, die wir bisher erfüllt haben, entgegenzustellen. Da wir als hochsensible Menschen recht harmoniebedürftig sind, kann das schon schwierig werden. Mir hilft dabei, daran zu denken, dass Harmonie ja auch mich selbst betrifft. Wenn ich als Teil des Großen Ganzen etwas tue, das nicht wirklich in Harmonie mit mir selber ist, tue ich damit auch dem größeren Zusammenhang, in dem ich lebe, keinen Gefallen. Mit Hilfe dieser Sichtweise ist es mir in letzter Zeit gelungen, ein Stück gesunden Egoismus zu entwickeln.
Alte Glaubensmuster auflösen
Die zweite Hürde besteht aus alten Glaubensmustern. Wenn wir „wissen“, dass eine bestimmte Sache nicht funktionieren kann, führt das oft genau dazu, dass diese Sache auch tatsächlich nicht funktioniert, weil wir uns dann auf eine bestimmte, wenig konstruktive Weise verhalten und uns nicht für neue Möglichkeiten öffnen. Es gibt verschiedene Techniken, sich solche alten Glaubensmuster bewusst zu machen und sie aufzulösen. Die wirksamste, die mir begegnet ist, ist EFT (emotional freedom techniques). Mehr darüber kannst Du in meinem Artikel EFT – emotionale Freiheit für Hochsensible nachlesen.
Was heißt demnach Erfolg?
Innerer Erfolg heißt, mit dem, was man tut, seine wirklichen Lebensziele zu verfolgen und damit sein ureigenstes Potenzial zu entfalten. Er gibt also die Richtung vor. Äußerer Erfolg misst sich daran, wie weit man in dieser Richtung vorangeschritten ist. Von außen betrachtet sieht man bestenfalls, in welche Richtung jemand geht und wie weit er dort vorangekommen ist. Doch wahrer Erfolg ist viel mehr und stellt sich nur ein, wenn innerer und äußerer Erfolg in eins zusammenfallen. In dieser Hinsicht wünsche ich Dir viel Erfolg!
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Clipart von jongo jingaro auf freesvg.org