Hochsensibilität und Schmerzempfindlichkeit – wie du Schmerz mental besiegst

Es liegt nahe, anzunehmen, dass hochsensible Menschen aufgrund ihrer feinen Nerven und der damit verbundenen Empfindsamkeit auch eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit aufweisen. Tatsächlich gibt es unter ihnen überdurchschnittlich viele Migräniker*innen, wie ich bereits in meinem Artikel Hochsensibilitätsgen von der Migräneforschung gefunden? dargelegt habe. Mir fällt jedenfalls immer wieder auf, dass hochsensible Menschen von allerhand schmerzhaften Erkrankungen und Zipperlein geplagt werden. Viele nehmen das einfach so hin, weil sie denken, es seien eben körperliche Probleme. Doch das ist nicht ganz richtig. Unsere Schmerzwahrnehmung entsteht im Kopf, wo unser Gehirn die Schmerzintensität anhand vieler Faktoren berechnet. Dazu gehören nicht nur die rein körperlichen Ausschläge der schmerzleitenden Nerven, sondern auch subjektive Bewertungen, die wir unbewusst vornehmen. Und das ist genau der Punkt, wo wir Schmerz mental verringern und in vielen Fällen sogar ganz besiegen können. Darüber möchte ich in diesem Blog-Artikel schreiben.

Achtung: Natürlich ist es wichtig, die körperlichen Ursachen deiner Schmerzen zu kennen und zu behandeln. Auch wenn Ärzte meinen, deine Schmerzen seien „psychisch“, ist es möglich, dass eine unerkannte Erkrankung dahinter steckt. Weit verbreitet ist z.B. eine unerkannte Fibromyalgie, die man über Blutwerte nicht feststellen kann. Mehr dazu erfährst du hier. Die Tipps in diesem Blog-Artikel dienen dazu, Schmerzen mit bekannter Ursache von der mentalen Seite her positiv zu beeinflussen.

Die 1-Million-Dollar-Wunde

Ein gutes und durch Studien belegtes Beispiel dafür, wie subjektiv unser Gehirn das Schmerzempfinden berechnet, ist das Phänomen, das als „Million-Dollar-Wound“, also als die „1-Million-Dollar-Wunde“, bekannt ist. Dabei wurden Menschen untersucht, die sich vergleichbare Verletzungen bzw. Verwundungen zugezogen hatten. Die einen waren Weltkriegssoldaten, die aufgrund ihrer Wunde nicht mehr in den Krieg ziehen mussten, die anderen waren Menschen, die ähnliche Verletzungen in ihrem normalen Leben aufgrund von Unfällen etc. aufwiesen. Beide Vergleichsgruppen wurden zu ihrem Schmerzempfinden befragt. Und obwohl die Schweregrade der Verletzungen sich nicht im geringsten unterschieden, hatten die Soldaten, die nun nicht mehr in den Krieg mussten, wesentlich weniger Schmerzen als die Unfallopfer.

Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Die Soldaten hatten eine komplett andere Sicht auf ihre Verletzung. Für sie bedeutete diese eine Erleichterung. Im Grunde genommen hat ihnen gar nichts Besseres passieren können, als sich eine Wunde zuzuziehen, die sie zwar außer Gefecht setzte, die sie aber überleben konnten, eben eine „Million-Dollar-Wound“. Für die Unfallopfer war ihre Verletzung jedoch ein schwerer Einschnitt, der sie aus einem glücklichen Leben gerissen hatte. Sie bewerteten ihre Wunde deshalb vollkommen anders, wodurch ihr Schmerzempfinden anstieg.

Dieses Beispiel finde ich persönlich sehr beeindruckend, da es zeigt, in welchem Maß Schmerz tatsächlich im Kopf entsteht und welches Potenzial an dieser Stelle gegeben ist, unser Schmerzempfinden mental zu beeinflussen. Einige Tipps dazu werde ich in der Folge geben.

Seelischer und körperlicher Schmerz sind eins

Aufgrund der modernen bildgebenden Verfahren sind Forscher heutzutage in der Lage, dem menschlichen Gehirn beim Schmerzempfinden zuzusehen. Die neuesten wissenschaftlichen Forschungen haben gezeigt, dass seelischer und körperlicher Schmerz in exakt der gleichen Hirnregion verarbeitet werden. Das heißt im Klartext, dass beides ein Kontinuum darstellt und das eine jederzeit stufenlos in das andere übergehen kann.

Das erklärt, warum viele Schmerzpatient:innen mit der Zeit depressiv werden. Noch interessanter für die Schmerzbewältigung ist jedoch, dass seelischer Schmerz jederzeit körperlich werden kann, besonders, wenn er verdrängt wird. Für alle, die unter chronischen Schmerzen leiden, ist das eine wichtige Erkenntnis! Denn seelischer Schmerz ist dazu in der Lage, massiv zur Entstehung von körperlichem Schmerz beizutragen.

Darum an dieser Stelle mein erster Tipp zur Schmerzbewältigung: Wenn du unter Schmerzen leidest, die stärker sind als zu erwarten, solltest du unbedingt auf deinen seelischen Schmerz schauen und alle Ursachen dafür abstellen. Wenn dir z.B. jemand dauernd seelisch weh tut, bringe diesen Menschen dazu, dies sein zu lassen oder entferne ihn aus deinem Leben. Wenn du beispielsweise eine nicht bewältigte Trauer hast, gehe das Thema an und lasse dich zur Not begleiten, wenn du es allein nicht schaffst. Mehr dazu kannst du in meinen Blog-Artikeln Hochsensibiltität, Trauer und Verlust und Hochsensibilität und Verletzlichkeit nachlesen.

Die „Weg-vom-Schmerz-Falle“

Wenn wir Schmerzen haben, empfinden wir das als unangenehm. Unsere erste Reaktion ist es deshalb, den Schmerz zu unterdrücken und uns von der schmerzhaften Körperstelle abzuwenden. D.h. wir gehen mit der Aufmerksamkeit weg vom Schmerz, um uns davor abzuschirmen. Damit nehmen wir aber gleichzeitig auch unsere Energie aus der schmerzhaften Stelle heraus, d.h. diese wird u.a. weniger durchblutet etc. In der Folge verschlechtern sich die Heilungschancen. Diese unmittelbare Überlebensreaktion hilft uns vielleicht im Augenblick, aber sie schadet uns langfristig gesehen. Das meine ich mit der „weg-vom-Schmerz-Falle“.

Mein zweiter Tipp zur Schmerzbewältigung lautet deshalb, dass du deinem Schmerz Raum gibst, dich ihm liebevoll zuwendest und damit deinen Selbstheilungskräften Zugang zur beeinträchtigten Körperstelle gibst. Es kann geschehen, dass der Schmerz dadurch zunächst etwas stärker wird, denn du hattest in ja unterdrückt und gehst jetzt mit der vollen Aufmerksamkeit hinein. In diesem Fall atme ein paarmal kräftig durch und achte darauf, dass du besonders gründlich ausatmest. Wenn die Übung funktioniert, spürst du, dass der Schmerz nachlässt und/oder dass die Stelle warm wird, d.h. besser durchblutet ist. Leichte bis mittlere Schmerzen lassen sich mithilfe dieser Methode oftmals in wenigen Minuten auflösen.

Wenn du in diesen intensiven Kontakt mit dem Schmerz gehst, kannst du dich auch fragen, was er dir vielleicht sagen möchte. So werden dir möglicherweise weitere Schmerzursachen und schmerzverstärkende Faktoren bewusst, an denen du etwas ändern kannst.

Schmerzwahrnehmung ist ein Lernprozess und kann auch wieder verlernt werden

Die Schmerzpsychologin Jutta Richter schreibt in ihrem Buch Schmerzen verlernen*, dass an der Schmerzerfahrung und -wahrnehmung eines Menschen zu einem großen Teil Lernprozesse beteiligt sind. Sie meint, dass aktive Schmerzbewältigung ein Umlernprozess ist. Das Gehirn kann dank seiner Flexibilität Schmerz auch wieder verlernen und lernen, mit ihm umzugehen. Das fordert natürlich wiederholtes Üben schmerzlindernder Maßnahmen. Gehirn, Körper und Nervensystem müssen, ähnlich wie ein Muskel, gut trainiert werden, um Verhaltensänderung und Schmerzlinderung fest zu verankern. Das gelingt umso besser, je mehr Spaß die Übungen machen und je größer der Wunsch nach positiver Veränderung ist.

Jutta Richter bringt in ihrem Buch Schmerzen verlernen. Die erfolgreichen Techniken und Übungen der psychologischen Schmerzbewältigung* 35 Übungen, mit deren Hilfe du Schmerz mental besiegen kannst. Eine wahre Fundgrube für alle, die unter chronischen Schmerzen leiden!

So besiegst du deinen Schmerz mental

Zusammenfassend hier noch einmal alle Schmerzbewältigungstipps dieses Blog-Artikels:

  • Das Schmerzempfinden ist ein Lernprozess, in den auch unsere subjektiven Bewertungen mit einfließen. Aus diesem Grund lässt sich Schmerz mental beeinflussen und sich auch wieder verlernen.
  • Da seelischer und körperlicher Schmerz im gleichen Hirnareal verarbeitet werden, ist es sehr wichtig, sich den eigenen seelischen Schmerz bewusst zu machen und dessen Ursachen zu beheben, sei es über Gespräche mit verletzenden Menschen, über den Einstieg in eine konstruktive Trauerarbeit u.v.m. Mehr dazu erfährst du in meinen Blog-Artikeln Hochsensibilität und Verletzlichkeit und Hochsensibiltität, Trauer und Verlust.
  • Statt deine Aufmerksamkeit vom Schmerz abzuziehen, was die beeinträchtigte Körperstelle weiter schwächt, gib deinem Schmerz Raum und wende dich ihm liebevoll zu. Was du da annimmst und zulässt, sind deine Selbstheilungskräfte, denen du nun wieder den Zugang eröffnest. Sollte der Schmerz dadurch erst einmal etwas stärker werden, atme ein paarmal gut durch und achte dabei auf gründliches Ausatmen.
  • 35 weitere Übungen zur mentalen Schmerzbewältigung findest du in Jutta Richters Buch Schmerzen verlernen. Die erfolgreichen Techniken und Übungen der psychologischen Schmerzbewältigung*

Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Blog-Artikel ein wenig Mut machen, dass du auch in Bezug auf Schmerzbewältigung eine Menge erreichen kannst, und wünsche dir, dass du als hochsensibler Mensch gesund und frei von Schmerzen sein mögest!

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