Aufgrund unserer erniedrigten Reizschwelle sind wir Hochsensible auch anfälliger für Schmerz, besonders für stressbedingte Formen. Ca. 80% meiner Klienten leiden unter Migräne. Aber auch sonstige Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Magenkrämpfe und Übelkeit sind unter Hochsensiblen weit verbreitet. Ich selbst habe eine Form von Migräne, bei der man die üblichen Triptane nicht einnehmen darf, da sie die Gefäße verengen. Da ich seit letztem Sommer plötzlich wieder vermehrt unter Migräne gelitten habe, war ich verzweifelt auf der Suche nach alternativen Methoden der Schmerzbehandlung und habe einiges ausprobiert. Das war alles auch gar nicht verkehrt, manches brachte eine gewisse Linderung mit sich, so dass ich immerhin wieder einigermaßen einsatzfähig war. Aber zufriedenstellend war das Ergebnis nicht. Doch vor einigen Wochen bin ich auf eine Methode gestoßen, mit deren Hilfe man Schmerz ohne Medikamente auflösen kann, die wirklich durchschlagend geholfen hat. Warum und wie das funktioniert, möchte ich in diesem Artikel vorstellen.
Nachtrag vom 20.1.2018: Dieser Blog-Artikel ist jetzt schon einige Jahre alt. Inzwischen hat sich bei mir viel getan. Ich habe einige Ursachen für meine Migräne gefunden und nach und nach ausgeräumt. Inzwischen kann ich mich als fast migränefrei bezeichnen. Es geht mir gut! :-D
Wie ein enger Aufmerksamkeitsfokus Schmerz erzeugen kann
In meinen Artikeln Open Focus – Entspannung in der Erfahrung des Raums und Entlastung im Alltag durch vier Arten von Aufmerksamkeit habe ich bereits über Les Fehmi’s Forschung geschrieben. Er hat herausgefunden, dass ein enger Aufmerksamkeitsfokus ein Notfallmodus ist, der die EEG-Frequenz des Gehirns rasch in die Höhe treibt und auch andere Aspekte physiologischer Erregung hervorbringt, was unsere Wahrnehmung, unsere Emotionen und unser Verhalten beeinflusst. Außerdem erhöht diese Art der Aufmerksamkeit unseren Muskeltonus, eine Vorstufe von Schmerz.
Fast jeder leidet unter einer Überbeanspruchung dieser eng-objektiven Aufmerksamkeit, die emotionalen Stress erzeugt und akkumuliert. Die Wurzeln liegen oft in der Kindheit – wir lernen, uns eng zu fokussieren, um schmerzvolle Gefühle zu unterdrücken. Diese halten wir dann mit Muskelkraft zurück, was in allen möglichen Körperteilen geschehen kann, im Magen, im Rücken, Nacken und am Kopf. Fast jeder macht das, und Gefühle auf diese Art zu verdrängen ist derart erfolgreich, dass wir noch nicht einmal merken, dass wir das überhaupt tun. Die Ursache von Schmerz liegt also hauptsächlich im Gehirn selbst und in der Art, wie wir es benutzen.
Warum Ablenkung vom Schmerz ihn letztlich verschlimmert
Ablenkung ist eine sehr effiziente Möglichkeit der Schmerzvermeidung, die in unserer Kultur weit verbreitet ist. Wenn wir unangenehme Gefühle wie Angst oder depressive Verstimmungen empfinden, suchen wir unbewusst sofort nach Zerstreuung, z.B. einen Film mit schnellen Schnitten oder ein spannendes Video-Spiel. Das kann uns bei der Flucht vor emotionalem Chaos helfen.
Doch solche Strategien werden oft bis zum Missbrauch hin überbeansprucht – exzessives Fernsehen, Spielen, Reisen, Shopping, laute Musik, Alkohol, Essen und langes Arbeiten sollen uns von unserem emotionalen Unwohlsein ablenken.
Normalerweise bekämpfen wir Schmerz also in einem engen Fokus und bemühen uns, ihn auf Abstand zu halten, indem wir uns wiederum in einem engen Fokus mit etwas anderem davon ablenken und wegfokussieren. Doch dieser enge Fokus erhöht ja, wie bereits beschrieben, unseren Erregungszustand, damit unseren Muskeltonus und unsere Schmerzanfälligkeit! Ein Teufelskreis, in dem der Schmerz sich immer weiter verstärkt und sich immer mehr körperlich manifestiert, bis wir ihn nicht mehr ignorieren können.
Schmerz auflösen mit Open Focus in zwei Schritten
In meinem Artikel Open Focus – Entspannung in der Erfahrung des Raums habe ich diese Methode bereits als Entspannungstechnik vorgestellt. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit weiten und vertiefen, erzeugt das Gehirn langsamere und rhythmischere Gehirnwellen, die mit Heilung, Balance und Wohlbefinden verbunden sind. Dies bewirkt eine Veränderung in unserem psychologischen und physiologischen Zustand; das übererregte sympathische Nervensystem wird beruhigt, das parasympathische aktiviert. Der Blutfluss in den Muskeln und im Verdauungssystem normalisiert sich, Atem- und Herzfrequenz reduzieren sich.
Open Focus als Entspannungstechnik einzusetzen ist also allein schon schmerzvorbeugend. Doch Open Focus kann noch mehr – man kann diesen Aufmerksamkeitszustand einsetzen, um Schmerz gezielt aufzulösen. Der Teufelskreis der Ablenkung wird durchbrochen, indem man sich dem Schmerz mit dem Open Focus zuwendet, statt von ihm weg zu fokussieren. Dadurch kommt man aus dem Schmerz heraus, statt immer tiefer hinein zu geraten.
Achtung: Die hier beschriebene Methode der Schmerzauflösung gilt nur für bekannte chronische Schmerzen und Beschwerden, die bereits ärztlich abgeklärt sind. Bei ungewohnten oder plötzlich auftretenden Schmerzen ist unbedingt ein Arzt zu konsultieren!
Im ersten Schritt sollte man sich etwas in Open Focus einüben. Dazu eignen sich folgende Audios, die man sich kostenlos herunterladen kann (englisch):
Open Focus: Head and Hands, General Open Focus
Beide Übungen dauern je ca. 30 Minuten. Man sollte sie für ein paar Tage ein- bis zweimal täglich durchführen. Am besten beginnt man mit Head and Hands. Wenn das gut klappt, wechselt man auf General Open Focus. Und wenn dieser auch gut klappt, geht es weiter:
Im zweiten Schritt beginnt man damit, Schmerz aufzulösen. Dazu gibt es einen kostenlosen Audio-Download als mp3 (englisch):
Dissolving Pain with Open Focus
In dieser Übung wird man erst sachte an den Schmerz herangeführt, indem man sich den Abstand des Schmerzes zu allen möglichen Körperteilen vorstellt. Schließlich richtet man seine enge Aufmerksamkeit direkt auf den Schmerz, bis man ihn in seiner größten Intensität spürt, und stellt sich dann vor, er löst sich in den umgebenden Raum auf. Dies wird so lange wiederholt, bis der Schmerz verschwunden ist. (Dauer: ca. 20 Minuten)
Noch besser finde ich persönlich zwei weitere Übungen, die man sich für je $ 8,95 als mp3 herunterladen kann (englisch):
Dissolving Physical and Emotional Pain
Nachdem man auch hier wieder sachte an seinen Schmerz herangeführt wird, verengt man seinen Fokus auf den Schmerz und taucht voll in ihn ein, um dann wieder in den Open Focus zu wechseln, in dem der Schmerz nur eine Wahrnehmung von vielen ist. Diesen Wechsel vollzieht man so oft, bis sich der Schmerz aufgelöst hat. (Dauer: ca. 20 Minuten)
Dissolving Pain and other Experience
Diese Übung ist für Leute geeignet, die schon von sich aus gut in den Open Focus gehen können. Hier beginnt man im Open Focus, zentriert seine Aufmerksamkeit dann in den Schmerz, um schließlich in die Vorstellung des unendlichen Raums zu gehen und sich vorzustellen, wie der Schmerz sich ins gesamte Universum auflöst. Auch dieser Zyklus wird wiederholt und intensiviert, bis der Schmerz sich aufgelöst hat. (Dauer: ca. 30 Minuten)
Schmerz auflösen – meine Erfahrungen
Ich begann im Frühjahr 2015 damit, meine Migräneanfälle mit dieser Methode aufzulösen. Der Erfolg war erst einmal durchschlagend: Ich hatte damals einen Anfall, der so schlimm war, dass ich normalerweise einen Tag im Bett gelegen und mindestens noch zwei Tage beeinträchtigt gewesen wäre.
Da ich schon etwas Erfahrung in Open Focus hatte, probierte ich gleich die dritte Übung aus (Dissolving Pain and other Experience), die eine halbe Stunde dauert, also in etwa so lange, wie auch ein Schmerzmittel benötigen würde, um zu wirken. Was soll ich sagen – ich war danach schmerzfrei! Es war ein Samstag, also machte ich Gartenarbeit bei strahlendem Sonnenschein. Am Nachmittag kam noch einmal ein leichter Rückfall, woraufhin ich die Übung wiederholte und danach vollkommen schmerzfrei weiterarbeiten konnte. Dieser Anfall war damit erledigt.
Ich war so euphorisch, dass ich es am liebsten in die Welt hinausgeschrien und sofort einen Blog-Artikel geschrieben hätte. Doch ich dachte mir: „Warte lieber erst einmal ein paar Wochen ab – vielleicht war das nur eine Eintagsfliege oder ein Zufallstreffer, oder die Wirkung stumpft mit der Zeit wieder ab?“
Nachdem ich zwei Monate mit dieser Methode Schmerz aufgelöst hatte, schrieb ich diesen Blog-Artikel und und konnte folgende Bilanz ziehen:
Meine Schmerzbilanz
Zunächst hatte ich meine Migräne-Anfälle weiterhin in der üblichen Frequenz, also ca. einmal pro Woche. Ich konnte diese Anfälle aber stets umgehend mit Hilfe der Open-Focus Übungen auflösen. Mit der Zeit wurden die Intervalle länger und die Anfälle immer leichter. Meine ganze Einstellung dazu veränderte sich. Während früher das erste Ziehen in der linken Schläfe mich in Panik versetzt hatte, nahm ich das Ganze jetzt recht locker: „Na und? Mache ich eben meine Übung!“
Für viele Monate stellte Migräne für mich keine größere Belastung mehr dar. Sie äußerte sich hin und wieder mit einem leichten Ziehen in der linken Schläfe und im linken Rückenbereich. Selbst wenn ich nicht sofort dazu kam, eine der Übungen zu machen, passierte nichts weiter. Und mit der kürzeren Übung (Dissolving Physical and Emotional Pain), die nur 20 Minuten dauert, ging auch das wieder weg.
Das war wirklich eine Riesenerleichterung und brachte mir eine ganz neue Lebensqualität! Allerdings achtete ich darauf, dass ich täglich mindestens eine Open Focus Übung machte; an schmerzfreien Tagen eben eine andere.
Nach ca. einem Jahr funktionierten die Übungen plötzlich nicht mehr. Das war für mich ein herber Rückschlag. Erst viel später kamen weitere Ursachen meiner Migräne ans Licht, die ich dann beseitigen konnte. Heute geht es mir gut und ich brauche diese Übungen nicht mehr. Ich bin sehr erstaunt darüber, wie gut und wie lange diese Übungen funktioniert haben, obwohl die Ursachen meiner Migräne damals noch lange nicht erkannt und behoben waren.
Ich habe auch weitere Schmerzen mit Hilfe dieser Open Focus Übungen auflösen können, z.B. Rückenschmerzen, Übelkeit, Blähungen etc. Das funktioniert recht gut! Les Fehmi hat ohnehin eine sehr weite Auffassung von Schmerz. Er bezieht jede Form von Unwohlsein oder Spannung mit ein, die sich in irgendeiner Form körperlich bemerkbar macht.
Fazit: empfehlenswert!
Wer unter chronischen Schmerzen oder sonstigem Unwohlsein und Missbefinden leidet, dem kann ich diese Methode nur ans Herz legen. Es lohnt sich auf alle Fälle, es damit zu versuchen! Allerdings muss man etwas Geduld mitbringen, da man sich erst ein wenig mit dem allgemeinen Open Focus vertraut machen muss. Das benötigt man unbedingt als Voraussetzung für die Übungen zum Schmerz auflösen. Einige Tage an Vorlauf genügen aber – sobald man die Grundübungen ein paarmal gemacht hat und sich damit einigermaßen vertraut fühlt, kann man loslegen. Ich wünsche gute Besserung!
Hier das diesem Blog-Artikel zurgrunde liegende Buch von Les Fehmi und Jim Robbins: Dissolving Pain. Simple Brain-Training Exercises for Overcoming Chronic Pain*, Boston & London 2011
Clipart von Jarda auf freesvg.org
Zurück zu hochsensibel sein
Hallo Anne-Barbara, vielen Dank für diesen Artikel. Gibt es diese Methode auch in deutsch? Meine Englischkenntnisse sind nicht ausreichend, um damit zu arbeiten.
Vielen Danke und liebe Grüße Petra
Liebe Petra,
danke für Dein nettes Feedback! Nein, leider gibt es diese Methode nicht auf Deutsch. Ich bin gerade dabei, eine eigene Methode zu entwickeln, und die wird dann natürlich auf Deutsch sein, weil ich das selber sprechen werde.
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Liebe Anne-Barbara,
das ist toll. Du wirst uns/mir ja sicherlich per Mail mitteilen, wenn du diese Methode weitergibst. Egal ob jetzt hier oder in einem Seminar.
Liebe Grüße Petra
Liebe Petra,
wenn Du möchtest, melde ich mich in den nächsten Wochen bei Dir, denn ich suche noch Leute, die das testen werden.
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Hallo Barbara
Habe da etwas gelesen das es einen Zusammenhang von Histamin(Intoleranz)und Reizüberflutung gibt? Gibt es da Erfahrungen bei Dir?
LG Jens
Hallo Jens,
ich persönlich habe keine Erfahrungen damit, kann mir aber gut vorstellen, dass eine Histamin-Unverträglichkeit sich, genau wie Reizüberflutung, aufgrund von Stress entwickelt. Von daher halte ich es durchaus für möglich, das sich das gegenseitig aufschaukeln kann.
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Liebe Anne-Barbara,
ich bin heute durch Zufall auf Deine. Seite gestoßen u d kann mir jetzt in Bezug auf meine “Empfindlichkeit“ und Migräne ei ihres erklären. Nach einem kürzlichen Ereignis darf ich jetzt keine Triptane mehr nehmen und suche dringend eine andere Methode zur Schmerzlinderung und würde das gerne mit der Open Focus Methode probieren. Leider habe ich ebenso wie Petra keine Englischkenntnisse.
Würdest Du mich bitte ebenfalls als Testerin für Deine Methode mit einbeziehen?
Vielen Dank schon im Vorraus
Liebe Grüße
Ute
Liebe Ute,
vielen Dank für Deine Geschichte, die mir ein Ansporn ist. Ich werde an Dich denken!
Herzliche Grüße.
Anne-Barbara
danke für Dein nettes Feedback! Nein, leider gibt es diese Methode nicht auf Deutsch. Ich bin gerade dabei, eine eigene Methode zu entwickeln, und die wird dann natürlich auf Deutsch sein, weil ich das selber sprechen werde.
Liebe Anne-Barbara,
Gibt es inzwischen solch eine Anleitung von dir auf Deutsch?
Lg
Liebe Yvette,
was Open Focus betrifft gibt es keine Anleitung auf Deutsch, das wäre auch markenrechtlich nicht möglich. Ich habe aber inzwischen einige andere Methoden gesammelt, die auch recht wirksam sind. Da ich immer wieder Anfragen wie Deine habe, habe ich mich entschlossen, Mitte Februar ein Webinar zu diesem Thema anzubieten. Ich werde Dich benachrichtigen, sobald es genaueres gibt!
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Vielen Dank, bin sehr gespannt!
Habe mir übrigens die englische Version gekauft, allerdings finde ich die Aussprache schwer verständlich. Da wäre es schon eine Hilfe, wenn man den Text in Schriftform hätte, um nachzuvollziehen was er sagt.
LG
Liebe Yvette,
leider habe ich momentan nicht die Zeit, eine Übersetzung zu machen. Aber ich kenne jemanden, den ich fragen kann. Sobald ich mehr weiß, melde ich mich bei Dir.
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Liebe Anne-Barbara,
gibt es diese Methode mitlerweile auf Deutsch?
Herzlicher Gruß
Magdalena
Liebe Magdalena,
nein, leider nicht!
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara