Stell‘ dich nicht so an (…sondern stell‘ dich lieber hinten an, so müsste es eigentlich heißen ;-) ). Warum bekommen hochsensible Menschen diesen Satz so oft zu hören? Stellen wir uns wirklich „so an“? Was will uns dieser Satz überhaupt sagen? Laut Duden handelt es sich bei diesem Spruch um ein Synonym für „sei nicht so wehleidig“ oder „zier dich nicht so“. Meine Google-Recherche hat ergeben, dass dieser Satz gar nicht so spezifisch für Hochsensible zu sein scheint, sondern recht weit verbreitet ist. Er wird vor allem in drei Zusammenhängen häufig genannt: In der Sexismusdebatte als Antwort darauf, wenn Frauen sich darüber beschweren, blöd angemacht zu werden, in der Kindererziehung als pädagogischer Zeigefinger und wenn Menschen immer wieder über einen schweren Schicksalsschlag berichten, über den sie nicht so leicht hinweg kommen. Das sagt recht viel über die eigentliche Bedeutung dieses Satzes aus: Es handelt sich dabei um eine reine Killerphrase.
Achtung Killerphrase!
Killerphrasen sind Sätze, die nicht wegen ihres Informationsgehaltes geäußert werden, sondern in der Absicht, ein Gespräch, eine Diskussion oder einen kreativen Gesprächsprozess zu beenden. Ziel dabei ist, Widerspruch zu verhindern, Ablehnung zu vermitteln und/oder den Gesprächspartner herabzusetzen. Dies dient dazu, den eigenen Standpunkt kurzfristig durchzusetzen und die eigenen Interessen zu wahren. Ein weiteres Beispiel für eine Killerphrase wird in meinem Artikel Das bildest du dir ein: Hochsensibilität und Wahrnehmung genauer unter die Lupe genommen.
Wenn man mit einem Satz wie „Stell dich nicht so an“ konfrontiert wird, macht es also wenig Sinn, das eigene Verhalten selbstkritisch zu reflektieren, wozu hochsensible Menschen neigen. Die herabwürdigende Wirkung einer solchen Aussage würde sich dadurch nämlich nur verstärken. Vielmehr sollte man sich in diesem Fall Gedanken darüber machen, aus welchem Grund unser Gegenüber diese Killerphrase ausspricht. Das muss nicht zwingend böse gemeint sein, es können verschiedene Ursachen dahinter stecken, wie z.B.:
- Argumentative Überforderung
Wir haben etwas angesprochen, das sich nur auf der Basis unserer feinen Wahrnehmung erklären und erörtern lässt. Einem in Bezug auf Sensibilität normalveranlagten Menschen fällt es in diesem Fall schwer, in eine Diskussion einzusteigen. Er fühlt sich überfordert und bügelt das Gespräch deshalb auf diese Weise ab. - Emotionale Überforderung
Unserem Gegenüber fällt es schwer, sich auf die mit diesem Gesprächsthema verbundenen Emotionen einzulassen. Dies geschieht leicht, wenn wir über etwas sprechen, das auch für uns selbst emotional belastend ist. - Jemand fühlt sich angegriffen
Es kann relativ leicht passieren, dass hochsensible Menschen Dinge ansprechen, die sie für offensichtlich und auf der Hand liegend halten. Unser Gegenüber fühlt sich aber „durchschaut“ und bekommt Angst. Die Killerphrase kommt dann als „Notwehr“ auf etwas, das womöglich gar nicht als Angriff gemeint war. - Asymmetrische Kommunikation
Unser Gegenüber strebt nach einer Kommunikation, die nicht auf Augenhöhe ist, sondern in der er oder sie die Oberhand behält. Siehe dazu meinen Blog-Artikel zur vertikalen Kommunikation: Hochsensibel? So setzt du dich durch! - Durchsetzung von Interessen
Wenn es um konkrete Interessenkonflikte geht, wie z.B. ob ein Fenster geöffnet bleiben oder geschlossen werden soll, kann man die kälteempfindlicheren leicht mit der Killerphrase „stell dich nicht so an“ abbügeln. Die sich widersprechenden Bedürfnisse werden dann nicht auf eine Ebene gestellt und ein gleichberechtigter Kompromiss ausgehandelt, sondern die Bedürfnisse des empfindlicheren Menschen werden herabgesetzt und übergangen.
So konterst du Killerphrasen
Das Problem bei Killerphrasen wie „Stell dich nicht so an“ und Totschlagargumenten ist, dass man sie auf der Gesprächsebene selbst nicht hinterfragen kann. Sie können nur auf einer Meta-Ebene diskutiert werden. Meta-Ebene heißt, dass man aus dem ursprünglichen Gespräch aussteigt und stattdessen darüber reflektiert, wie die Kommunikation grundsätzlich abläuft. Praktisch bedeutet dies, dass man einen Satz offen als Killerphrase kennzeichnet und klar stellt, dass so etwas gegen die Regeln einer fairen Kommunikation verstößt.
Diese Vorgehensweise ist vor allem bei näheren Kontakten anzuraten. In unserem unmittelbaren Umfeld dürfen wir uns einer herabwürdigenden Kommunikation nicht dauerhaft aussetzen, weil unser Selbstwertgefühl darunter leiden würde. Und damit haben wir ohnehin schon unsere Schwierigkeiten, wie man in meinem Beitrag Hochsensibilität und Selbstwertgefühl nachlesen kann.
Im weiteren Umfeld gibt es noch die energiesparendere Möglichkeit, solche Killerphrasen einfach zu ignorieren. Dies ist möglich, wenn man die Phrase als Strategie des Gegenübers ansieht, um etwas bestimmtes zu erreichen. Was das genau ist, dürfte uns aufgrund unserer Hochsensibilität nicht weiter schwer fallen zu erahnen, wenn wir uns nur nicht davon ablenken lassen, indem wir unsere eigenen Wunden lecken.
Und dann kann man je nach Sachlage entscheiden, ob man das Bedürfnis des Gegenübers direkt anspricht, z.B. „Fällt es Ihnen schwer, über das Thema xy zu sprechen?“, oder ob man einfach nur die Killerphrase ignoriert: „Sie schwitzen, ich friere, wie finden wir da bezüglich des Fensters einen Kompromiss?“, d.h. man stellt die Augenhöhe wieder her und übergeht den Versuch der Herabwürdigung.
Das funktioniert normalerweise recht gut. Ich erinnere mich an ein Beispiel, als es in einem Familienurlaub zu heftigen Regenfällen kam. Wir alle bekamen nasse Füße und ich befürchtete, mich zu erkälten. Eine Tante sah mich streng von oben herab an und meinte mit salbungsvoller Stimme: „An einer Erkältung stirbt man nicht.“ Ich lächelte sie freundlich an und antwortete: „Ja klar, es ist nur blöd, wenn man im Urlaub erkältet ist.“
Wikipedia-Artikel Totschlagargument ansehen
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Hallo Anne!
Deine Stellung zu den Killer-Phrasen ist genial! Ich wünschte ich könnte das auch irgendwie hinbekommen mich von diesen Phrasen o.ä. nicht so niederschlagen zu lassen dass ich keinen klaren Kopf mehr bewahren kann. Das hat nämlich oft zur Folge das mir die Worte einfach fehlen! Kannst du mir sagen was du in den Situationen machst um dich nicht verunsichern zu lassen? Ich fand das Beispiel mit der Tante im Urlaub perfekt, wirklich! Und dabei ist es ja nur eine logische Schlussfolgerung. Bloß fallen mir diese auch oft erst ein wenn ich im Bett liege…
Mit freundlichem Gruß
Philipp
Hallo Philipp,
vielen Dank für Deinen Kommentar! Verunsicherung entsteht, wenn man solche Killerphrasen ernst nimmt, denn dann können sie ihr herabwürdigendes Potenzial entfalten. Wenn man eine Killerphrase als solche erkennt, ist sofort klar, dass sie einen Wahrheitsgehalt von 0,0 hat, und dann braucht sie einen nicht mehr so zu treffen.
So schlagfertig wie bei der Tante bin ich auch nicht immer, aber ich kannte sie ja schon und war innerlich auf ihre typischen Killerphrasen eingestellt. Wenn Dir im Nachhinein gute Antworten einfallen, ist das also schon einmal super! Wenn Dich bestimmte Leute immer wieder mit so etwas nerven, kannst Du Dich gezielt darauf vorbereiten und Dir schon Antworten parat legen.
Ansonsten kann ich nur wiederholen, was ich im Artikel schon geschrieben habe: Ist Dir diese Person wichtig, unbedingt auf die Meta-Ebene gehen und das Unfaire an dieser Art zu kommunizieren offen legen. Bei ferner stehenden Leuten einfach den herabwürdigenden Anteil ignorieren und den Satz rein wörtlich nehmen.
Beides funktioniert mit etwas Übung. Du könntest z.B. einen Freund bitten, Dir in einem Rollenspiel ein paar Killerphrasen „um die Ohren zu hauen“, und Du versuchst, darauf zu reagieren. Dein Freund kann Dir dann Rückmeldung geben, wie er Deine Reaktion empfunden hat. So kannst Du Dir ein festes Verhalten erarbeiten, das für Dich funktioniert.
Ich hoffe, ich konnte Dir weiterhelfen?
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Hallo Anne-Barbara,
ich arbeite seit 1 Jahr in einer Arztpraxis wo es eine Mitarbeiterin gibt die als angehende Praxismanagerin das sagen hat. Sie behandelt jeden wie ein dummes kleines Kind und duldet keine Fehler. Sie dient als Blitzableiter unserer Chefin und wir als ihren Blitzableiter. Das Personal wechselt in dieser Praxis wie die Unterwäsche. Eine neue Kollegin ging nach nur 2 Monaten. Ich kämpfe nach einem brutalen Mobbingerlebnis in meiner vorigen Praxis in dieser neuen Praxis und fühle mich da überhaupt nicht wohl. Ständige Kontrolle, sie sagt zu allen Schätzchen, Schnuckelchen, total herabwürdigend. Ich spüre das sie total überfordert ist mit allem zumal es zu wenig Personal gibt kann aber Kommentare wie: Kopf abhacken oder abschlachten nicht akzeptieren. Sie will jedem ihren Standpunkt und den Perfektionismus regelrecht überstülpen. Ich kann in dieser Praxis nicht zur Ruhe kommen, die Athmosphäre ist immer irgendwie angespannt und man muß funktionieren wie ein Robboter. Und durch meine Sensitivität spüre ich die Stimmungen der anderen ständig. Bei einer Diskussion letzte Woche meinte sie zu mir ich wäre bockig und würde mich gegen alles sperren. Eine absolut unmögliche Art der Kommunikation. Meine Therapeutin meint das man in dieser Praxis schikaniert wird.
Hallo Christiane,
es tut mir leid, dass Du nach Deiner Mobbing-Erfahrung schon wieder in einer Praxis gelandet bist, in der das Arbeitsklima nicht o.k. ist. Was mir so spontan zu „Schnuckelchen“ oder „Schätzchen“ einfällt, ist, wie im Artikel beschrieben, die herabwürdigende Komponente einfach zu ignorieren und das wörtlich zu nehmen. Im Anschluss würde ich sie dann nur noch zärtlich „Liebes“ nennen. :-) Und dann soll Sie Dir noch einmal vorwerfen, Du wärst bockig. :-D
Wenn sich die Sache mit Humor nicht lösen lässt, wirst Du wohl nach einer neuen Arbeitsstelle suchen müssen. Du kannst ja aus den Erfahrungen lernen, die Du schon gemacht hast: Wie hättest Du bei der Bewerbung spüren können, dass da etwas nicht o.k. ist? Hochsensible haben ja oft eine sehr gute Intuition, und wenn Du die spürst, kannst Du das zukünftig nutzen!
Ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig weiterhelfen, und falls Du noch Fragen hast, immer gern! :-)
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Hallo Anne-Barbara,
meine Mutter – bei der ich inzwischen eine NPS vermute – haut mir öfter mal den Satz „Du bist viel zu empfindlich!“ um die Ohren. Ich sehe sie nur sehr selten (ca. 2 bis 3 Mal im Jahr) und dann nur für zwei bis drei Tage, aber wir schaffen es jedes Mal, uns nach spätestens 48 Stunden zu zoffen. Wenn es vis-a-vis nicht knallt, dann irgendwann am Telefon. Ich bin 46 (fühle mich manchmal wie 15), sie ist 77, und unser Verhältnis war nie wirklich gut.
Sie hat von Hochsensibilität keine Idee, streitet sogar ab, dass es „das gibt“. Eine schwierige Beziehung, zumal mir der Satz immer sehr weh tut. Es mangelt mir an Verständnis, an Wertschätzung sowieso. Wie gehe ich damit um?
Liebe Haydee,
sehr merkwürdig, dass Deine Mutter einerseits das Thema Hochsensibilität leugnet, Dir aber andererseits diese Satz um die Ohren haut. Das ist ja ein Widerspruch in sich, und damit gut, weil „angreifbar“.
Als erstes ist es wichtig, dass Du akzeptierst, dass Deine Mutter sich gegen dieses Thema wehrt. Eine Erklärung dafür findest Du vielleicht hier:
Hochsensible Kriegsenkel
Wenn das auf sie zutrifft, ist das generationsbedingt, hängt sehr fest, und es ist davon auszugehen, dass sie selbst Schwierigkeiten mit diesem Thema hat. Sollte das der Fall sein (ich kenne weder Dich noch Deine Mutter), projiziert sie ihre Ablehnung ihrer eigenen Sensibilität auf Dich und „bekämpft“ sie dort quasi stellvertretend.
Mir fallen zwei Dinge ein, die Du ausprobieren könntest:
1. Humor: „Das habe ich von Dir geerbt.“ ***breites Grinsen*** Wenn das nicht funktioniert:
2. Abgrenzung: Ihr in aller Ruhe und ganz klar und deutlich sagen, dass sie Dir diesen Satz nicht mehr sagen darf. Und zwar bitte ohne Begründung, denn das würde nur zu weiteren Diskussionen führen. Die einzige Begründung, die Du bringen kannst, wenn sie nicht locker lässt, ist: „Ich möchte nicht, dass Du so mit mir sprichst.“ (Auf keinen Fall etwas in der Richtung sagen, dass Dich dieser Satz verletzt, denn da kann sie dann wieder reinhacken.) Sollte sie das ignorieren, drehst Du Dich um und gehst. Und zwar so lange, bis sie das respektiert.
Zum Thema Wertschätzung und Verständnis: Du wirst das von Deiner Mutter nie bekommen. Es ist ein aussichtsloser Kampf, in dem Du Dich unnötig aufreibst. Stattdessen kannst Du Dir selbst Wertschätzung geben. Wie das funktioniert, erfährst Du hier:
Hochsensibilität, Selbstliebe und Energie
Ich hoffe, das hilft Dir erst einmal weiter. Wenn Du noch Fragen oder Ergebnisse zu berichten hast, immer gern! :-)
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara
Hallo,
was kann ich machen wenn eine Hochsensible Person mir die Wörter im Mund umdreht und sachen behauptet die ich gar nicht gesgat habe? (Natürlich zu seinen Vorteil) Jede Argumentation wird mit der Behauptung zugesetzt das man diese Person nicht leiden kann und sie sich angegriffen fühlt.
Ein normales gespräch ist nicht leider nicht möglich.
Für hilfe wäre ich sehr dankbar.
Hallo Philipp,
tut mir leid, dass Du es gerade mit dieser Person nicht leicht hast! Möglich, dass die Person, von der Du berichtest, auf Dich etwas projiziert, wo sie früher verletzt wurde, und sich in Wirklichkeit gar nicht gegen Dich, sondern den damaligen Angreifer zur Wehr setzt. Womöglich ist diese Person in etwas getriggert, wo sie von früher her eine Verletzung hat. Vielleicht hast Du eine Idee, was das sein könnte. Dann kannst Du versuchen, um den Triggerpunkt der Person herum zu formulieren, sodass diese eher in der Lage ist, das, was Du gegenwärtig vermitteln möchtest, zu verstehen. Sollte Dir das nicht gelingen und Dir diese Person wirklich wichtig sein, kann ich eine Mediation empfehlen. Ich z.B. bin dafür ausgebildet und führe auch Mediationen durch, also wende Dich in diesem Fall gern an mich.
Herzliche Grüße,
Anne-Barbara