Der Regenschirmspaziergang – 5 Schritte für mehr Abgrenzung

Wir Hochsensible kennen das – ständig sind wir auf Empfang, nehmen Stimmungen, Schwingungen und unterschwellige Energien der Menschen auf, die uns begegnen. Und das nicht nur bei denen, die uns wichtig sind, wo das ja durchaus von Vorteil sein kann, sondern auch bei allen möglichen Zufallsbegegnungen. Ob wir wollen oder nicht, ob es uns  interessiert oder nicht, oft können wir gar nicht anders, als all diese Dinge wahrzunehmen. Das kann dann natürlich schnell zu viel werden, was uns in einen Zustand der Reizüberflutung versetzt. Ich selbst z.B. habe mich noch vor ca. eineinhalb Jahren dabei ertappt, dass ich jeden Menschen, der mir beim Einkaufen begegnete, daraufhin abgescannt habe, was dieser für eine Laune hat. Und habe mich dann gewundert, warum ich nach einem simplen Einkauf schon fix und fertig war. Um eine bessere Abgrenzung zu erreichen, schlägt die Hochsensibilitätsforscherin Elaine N. Aron in ihrem Buch „Sind Sie hochsensibel? Ein praktisches Arbeitsbuch für hochsensible Menschen“ (München 2014) eine Übung vor, die sie Regenschirmspaziergang nennt. Diese Übung finde ich persönlich recht hilfreich und möchte sie deshalb hier vorstellen.

Den Regenschirm öffnen

Ein geschlossener, nach unten gehaltener Regenschirm fängt in jeder Falte viel Wasser auf. Doch wenn man ihn umdreht und aufspannt, perlt das Wasser an ihm ab und wir bleiben unter ihm trocken und geschützt. Genauso können wir alles, was auf uns zukommt, eher an uns abgleiten lassen, wenn wir auf Senden statt auf Empfang geschaltet sind. Unsere Botschaft lautet dann: „Hallo, guten Tag, ich bin beschäftigt.“ Oder einfach: „Ich habe zu tun.“ Einen dieser Sätze sollten wir während eines Regenschirmspaziergangs unablässig senden. In dieser Zeit empfangen wir nicht.

Wenn man den Regenschirmspaziergang übt, sollte man stets mit einer bestimmten Absicht nach draußen gehen. Solange wir diesen Schirm aufgespannt haben, beschäftigen wir uns primär mit unseren eigenen Dingen. Wir sind auf dem Weg zur Post, oder drehen unsere Einkaufsrunde im Supermarkt etc. Und dort sind wir nicht, um zu erfahren, was mit den Menschen um uns herum los ist!

Ein Obdachloser bittet um Kleingeld? Das berührt uns normalerweise. Wir haben jedoch ein Recht darauf, einfach schweigend weiter zu gehen, wenn wir das möchten. Oder wir halten stets einige Münzen bereit und geben etwas, wünschen einen schönen Tag und gehen unserer Wege.

Jemand will uns etwas verkaufen oder bewerben? Wenn das nichts damit zu tun hat, was wir uns vorgenommen haben, empfangen wir diese Botschaft nicht und lassen uns nicht in ein Verkaufsgespräch verwickeln. Wir lesen noch nicht einmal Werbeplakate, weil auch das nur an unseren Kräften zehrt.

Wir begegnen interessanten Menschen, bei denen sich ein Blick lohnt? O.k., wir können sie uns anschauen, wenn wir unsere Energie an diesem Tag dafür verwenden wollen. Falls nicht, richten wir unseren Blick wieder nach vorn auf unser Ziel.

Vermeide den Fehler der falsch verstandene Achtsamkeit

Wer Achtsamkeit und Meditation praktiziert, dem wird diese Übung möglicherweise irgendwie merkwürdig oder „verkehrt“ vorkommen. Die Aufgabe, die Welt derartig aussperren zu sollen, scheint dem Prinzip der immerwährenden Achtsamkeit zu widersprechen. Doch auf das eigene Erregungsniveau zu achten und es auf einem angenehmen Level zu halten, indem wir uns auf unser Ziel konzentrieren, ist auch eine Form von Achtsamkeit.

Jeder wünscht sich unsere Aufmerksamkeit und bekommt sie auch leicht, weil wir Hochsensible von Natur aus neugierig sind. Doch unsere Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut, das wir nicht leichtfertig verschwenden sollten. Wir legen selbst fest, wer in ihren Genuss kommt und überlassen dies nicht dem Zufall oder der Entscheidung eines anderen.

Ich denke, wahre Achtsamkeit ist eine Achtsamkeit im Umgang mit unseren eigenen geistigen und emotionalen Ressourcen. Man kann der Welt niemals mit etwas helfen, das einem selbst schadet, denn jede und jeder einzelne von uns ist in viel höherem Maß Teil dieser Welt, als es vordergründig scheint. Etwas, das einem selbst schadet, schadet somit auch der Welt.

Der Regenschirmspaziergang in fünf Schritten

  1. Mache ganz bewusst einen Regenschirmspaziergang, wenn Du Dich das nächste Mal unter Menschen begibst. Behalte dabei Dein Ziel vor Augen und gehe zügig, während Du Deine Gedanken darauf konzentrierst, wohin Du willst und warum. Anderen gegenüber bist Du freundlich, signalisierst aber, dass Du beschäftigt und heute nicht auf Empfang bist.
  2. Rekapituliere Deinen ersten Regenschirmspaziergang schriftlich und bewerte auf einer Skala von eins bis zehn, wie schwer Dir diese Übung gefallen ist. Eins bedeutet einfach, zehn unmöglich. Wenn Dein Wert über drei liegt, versuche es noch einmal und bewerte auch diesen Versuch.
  3. Wenn Du Dich bereit fühlst, probiere den Regenschirmspaziergang auch in einem anderen Umfeld aus, z.B. bei der Arbeit, wenn Du dort unterwegs bist und nicht aufgehalten werden möchtest, oder versuche es bei einer sitzenden Tätigkeit. Bewerte auch diese Versuche und halte Deine Eindrücke wieder fest.
  4. Mache den Regenschirmspaziergang in den nächsten Wochen so oft wie möglich, damit Du diese Fähigkeit weiterentwickeln und Dich daran gewöhnen kannst. Mit der Zeit und etwas Übung klappt es dann von ganz allein.
  5. Zum Abschluss kannst Du darüber reflektieren, was Dir während dieser Aufgabe an Dir selbst aufgefallen ist, und diese Beobachtungen aufschreiben.

Wie hat Dein erster Regenschirmspaziergang geklappt? Über Deinen Kommentar würde ich mich freuen! :-)

Quelle: Elaine N. Aron, Sind Sie hochsensibel? Ein praktisches Arbeitsbuch für hochsensible Menschen*, München 2014, Kindle Edition Pos. 1924ff

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13 Gedanken zu „Der Regenschirmspaziergang – 5 Schritte für mehr Abgrenzung“

  1. ‚Man kann der Welt niemals mit etwas helfen, das einem selbst schadet, denn jede und jeder einzelne von uns ist in viel höherem Maß Teil dieser Welt, als es vordergründig scheint. Etwas, das einem selbst schadet, schadet somit auch der Welt.‘ danke dafür und für diesen tipp. probier ich gern aus! bin auch immer auf empfang, vorallem wenn es mir gut geht und ich somit was zu geben habe. und wundere mich dann immer, wo die energie hin ist. dabei müsste ich es besser wissen. im achtsamkeitskurs lernt man, dass normalerweise ca 80% der aufmerksamkeit im aussen sind und höchstens 20 % im innen. dabei sollte es eher umgedreht oder doch zumindest ausgewogen sein. danke also für den neuerlichen gedankenanstoss :-)

    Antworten
    • Liebe Andrea,

      vielen Dank für Deine Rückmeldung! Für mich war das auch eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Jahre, und erst seit mir das bis in die Tiefe klar ist und ich es auch mehr und mehr umsetzen kann, habe ich wirklich das Gefühl, anderen helfen zu können, was schon immer eine große Sehnsucht von mir war. Danke auch für die Information, dass wahre Achtsamkeit tatsächlich zu 80% nach innen gerichtet sein sollte. Das passt ja zu meiner Einschätzung!

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

  2. liebe anne- barbara,

    sehr spannend dieser artikel. wenn ich zurückblicke habe ich intuitiv immer schon so gelebt. immer eine liste im kopf + nur kurze oberflächliche „kassenbegegnungen“.
    das führte allerdings dazu mich immer etwas gehetzt zu fühlen oder vielleicht habe ich diese gehetzte gefühl nach außen transportiert, um in ruhe gelassen zu werden.
    selbst meine mutter hatte früher schon den “ ruf“ frau ruck-zuck.
    selbst in der kirche schaue ich manchmal auf den boden um dort nur die fliesen anzuschauen. das beruhigt mich und ich kann gut innen bei mir bleiben.
    früher habe ich immer gesagt: auf der arbeit ziehe ich meine käseglocke drüber, dann sehe ich alles bin aber geschützt.
    liebe grüße britta
    viele puzzleteile die sich im nachhinein so zusammenfügen

    Antworten
    • Liebe Britta,

      vielen Dank für Dein nettes Feedback und Deinen Bericht! Da hast Du ja vieles schon automatisch richtig gemacht, das ist super! :-)

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

  3. Hallo Anne-Barbara , mir fällt das sehr schwer besonders im Umgang mit den Menschen.mein Arbeitsplatz ist gerade in gefahr weil ich es nicht schaffe mich abzugrenzen und den Regenschirm aufzuspannen.Ich arbeite in einer Arbeitsgruppe von25 geistig behinderten Menschen.Ich suche gerade einen neuen Arbeitsplatz weil mir dort in kürzrster Zeit der Stresspegel so ansteigt dass ich Kopfschmerzen und Ohrensausen bekomme.Da ich die Gruppe pädagogisch und pflegerisch betreue fühle ich mich immer in der Pflicht.Total blöd.lgSybille

    Antworten
  4. Hallo Anne-Barbara, ich kann gut auf mein Ziel hin spazieren oder einkaufen gehen, wenn ich aber Menschen in die Augen schaue, habe ich sofort eine Energie gefühlt oder etwas anderes, dass ich noch gar nicht benennen kann. ich weiß nicht, was das ist. Die ganze Zeit nach unten schauend ist ja quatsch, es reicht gefühlt eine Milli Sekunde. Ich würde gerne wissen, wie ich mich da abgrenzen kann. Scheinbar bin ich dann „immer noch“ auf Empfang.

    Viele Grüße

    Lena

    Antworten
    • Liebe Lena,

      vielen Dank für deinen Kommentar! Wenn das mit dem Augenkontakt so extrem ist, könnte es sein, dass du neben deiner Hochsensibilität auch einige Asperger-Züge hast. Denn Probleme mit dem Augenkontakt, wie du es beschreibst, ist ein ganz typisches Symptom dafür. In diesem Fall wird das leider nicht besser. Du kannst dir einen gewissen Augenkontakt antrainieren, um nicht aufzufallen. Ein Trick, der meinen betroffenen Klient*innen oft hilft, ist, den Leuten gar nicht in die Augen zu sehen, sondern auf den Punkt zwischen den Augenbrauen. Mehr zu den Asperger-Zügen erfährst du hier:

      Hast du Asperger-Züge? Mache den Test!

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

  5. Hallo,

    Eine ähnliche „Übung“ wie den Regenschirmspaziergang mache ich permanent. Ohne das geht gar nichts, weil ich einfach viel zu viel auffange. Leider hilft das alles nicht so effektiv, dass ich „nicht auf Empfang“ bin. Ich bin permanent auf Empfang und habe noch keine Möglichkeit gefunden, da irgendwas ernsthaft zu regulieren.

    Mir geht es auch nicht nur mit anderen Menschen so. Ich nehme auch die Energie von Objekten oder Pflanzen und dergleichen wahr. Es fühlt sich an, als wäre ich in einem großen Ozean, wo ich ständig von vielen verschiedenen Wellen getroffen werde, aus allen Richtungen und in verschiedenster Itensität und Wellenqualität.

    Gibt es irgendwas, das mir besser (bzw überhaupt) helfen könnte, eine Form der Regulierung zu haben, selbst beeinflussen zu können, wie vel ich aufnehmen will/kann?

    Viele Grüße!

    Antworten
  6. Hallo Anne-Barbara,

    Vielen Dank für die Buchempfehlung. Ich habe es mir gleich besorgt und bin dabei, es zu lesen. Allerdings muss ich feststellen, dass ich die meisten der beschriebenen Üungen bereits kenne, wenn auch oft in leicht abgewandelten Formen.

    Sie helfen mir leider sehr wenig.

    Teilweise kann ich sie auch nicht exakt in der im Buch beschriebene Form machen, weil die Prana-Atmung für mich nicht durchführbar ist: Das Zählen lenkt mich so ab, dass ich mich auf nichts anderes konzentrieren kann.

    Wenn es also nichts effektiveres gibt, nützen mir die ganzen Vorteile meiner Hochsensibilität wenig, weil ich einfach viel zu viele Fremdenergien abbekomme, ohne viel dagegen tun zu können – die Einsiedlerhütte früherer Zeiten ist ja heute kaum noch aktuell.

    Viele Grüße!

    Antworten
  7. Hallo Jana,

    tut mir leid, dass die Prana-Atmung bei dir nicht klappt! Es gibt aber eine Übung im Buch, die auch ohne sehr gut funktioniert: Die Aura-Wirbeltechnik (Aura 12mal im Uhrzeigersinn um sich wirbeln lassen und sich dabei vorstellen, dass alle Fremdenergien in die Erde gespült werden). Die kannst du immer durchführen, wenn du das Gefühl hast, Fremdenergien abbekommen zu haben. Der Vorteil ist, dass sie auch sehr schnell geht.

    Ansonsten kannst du dich natürlich fragen, warum du so viele Fremdenergien aufnimmst. An welcher Stelle bist du zu weit offen und warum? Hast du evtl. aus irgendwelchen Gründen Hemmungen, dich abzugrenzen? Wurdest du in deiner Vergangenheit daran gehindert, damit man dich besser manipulieren und ausnutzen kann?

    In diesem Fall könnten noch alte Muster bei dir sitzen, die deinen Selbstschutz behindern. Diese aufzulösen wäre dann eine ursächliche Herangehensweise.

    Herzliche Grüße,
    Anne-Barbara

    Antworten
  8. Hallo Anne-Barbara,

    Ja, die Wirbeltechnik habe ich gesehen. Ich werde sie nochmal weiter testen. Eine ähnliche Technik kenne ich schon lange, wo man sich „in echt“ im Kreis dreht dabei. Da wird mir immer schwindelig dabei, 12mal habe ich noch nie geschafft. Damals kam ich schon auf die Idee, das dann halt in Gedanken zu machen. Es macht in dem Moment die Aura etwas freier, aber ich hätte gern auch was, dass ich gar nicht erst so viel aufnehme. Und weil Du schreibst, immer dann, wenn ich das Gefühl habe, Fremdenergien abbekommen zu haben: Das würde bedeuten, dass ich es fast permanent machen müsste…

    Hemmungen, mich abzugrenzen, habe ich nur dann, wenn ich den Kontakt für meine therapeutische Arbeit brauche. Da kann ich nicht mit gleichzeitig „geschlossener und offener Tür“ arbeiten.
    Ansonsten habe ich mittlerweile eigentlich keine (mir bewussten) Hemmungen mehr, seit ich wegen meiner Depression in psychotherapeutischer Behandlung bin und gelernt habe, mir nicht mehr alles gefallen zu lassen, von dem ich merke, dass es mir nicht gut tut. Im Zusammenhang mit dieser Therapie kam die HS bei mir überhaupt erst zur Sprache.
    Die einzige „Hemmung“, die mir einfiele, wäre, dass ich gern wie andere auch einfach mal unbeschwert unterwegs sein möchte, aber das Gefühl habe, dass ich mich ständig zurückziehen muss, weil es ir zu viel wird – wodurch meine Lebensqualität natürlich sinkt, wogegen ich etwas tum möche.

    In der Vergangenheit gab es viele Grenzüberschreitungen, wo man mir was übergestülpt hat. Das ist jetzt aber fast alles Vergangenheit und psychotherapeutisch aufgearbeitet. Da (er)kenne ich die Muster und kann damit gut umgehen, wenn mal was hochkommt, was eh nur noch selten passiert.

    Liebe Grüße,
    Jana

    Antworten
    • Hallo Jana,

      ich denke, da muss man noch eine Etage tiefer schauen. Auf der Ebene, die du beschreibst und die auch therapeutisch gut aufgearbeitet ist, hast du natürlich kein Problem. Mir geht es um die energetische Ebene. Da ist bei dir irgendwo ein Loch, das zu weit offen steht. Ob es sich für dich lohnt, da noch einmal genauer hinzusehen, bist du natürlich frei, selbst zu entscheiden.

      Herzliche Grüße,
      Anne-Barbara

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