In meinen Coachings habe ich es immer wieder mit hochsensiblen Menschen zu tun, die sehr empathisch sind, merken, wo es an etwas fehlt und dort beherzt in die Bresche springen. Diesem Verhalten kommt ein Paradoxon entgegen, das sich unter hochsensiblen Menschen öfters findet: Wir bekommen zwar angesichts des Geräusches eines dauerhaft tropfenden Wasserhahns die Krise, doch wenn es wirklich hart auf hart kommt, in existenziellen Lebenslagen wie Unfall, Krankheit, Tod u.ä., sind es oft gerade wir, die die Nerven behalten. Hochsensible Menschen haben eine ausgesprochene Begabung dafür, Krisensituationen zu managen. Ich erlebe dieses Phänomen nicht nur bei meinen KlientInnen, sondern kenne es auch von mir selbst. In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht, warum das wohl so ist, und möchte die Ergebnisse meiner Reflexionen in diesem Artikel zusammenfassen.
Warum Hochsensible leicht in die Helferrolle geraten
Hier spielen anscheinend mehrere Faktoren zusammen. Erstens einmal ist es so, dass hochsensible Menschen einfach überdurchschnittlich empathisch sind, weil sie die Konsequenzen bestimmter Lebenslagen besser überblicken können. Außerdem haben sie eine intensivere Wahrnehmung dessen, was in den daran Beteiligten vor sich geht. Das allein würde jedoch noch nicht zwingend dazu motivieren, unbedingt etwas für andere tun zu müssen und sich mit aller Kraft dafür einzusetzen. Es kommen noch weitere Faktoren dazu.
Hochsensible Menschen haben aufgrund ihrer erniedrigten Reizschwelle weniger Möglichkeiten, sich abzugrenzen. Schon ihr alltäglicher Bewusstseinszustand unterscheidet weniger in Ich und Du. Wenn es also jemandem in ihrer Nähe schlecht geht, kann sich das durchaus so anfühlen, als würde es einem selber schlecht gehen. Für andere zu sorgen und für sich zu sorgen verschwimmt quasi ineinander. Das ist eine Erklärung für die überdurchschnittliche Motivation, zu helfen.
Doch es gibt noch einen Grund, warum das so ist. Hochsensible Menschen haben die Gabe, Konsequenzen von Ereignissen und Handlungen überdurchschnittlich schnell zu erfassen. Da wir eine Minderheit von 15-20% der Bevölkerung darstellen, sind wir in Krisensituationen oft die einzigen, die die Situation auf diese Weise blitzartig überblicken. Man denkt deshalb, auf sich allein gestellt zu sein, da andere vielleicht einen Moment brauchen, bis sie zur Tat schreiten. Und schon hat der hochsensible Mensch die gesamte Verantwortung übernommen und sie damit anderen auch vorschnell abgenommen.
Die Motivation zum Helfen und Retten speist sich bei hochsensiblen Menschen also aus (mindestens) drei Quellen:
- Erstens sind sie empathischer.
- Zweitens können sie sich weniger gegen das Leid in ihrer Umgebung abgrenzen, machen es quasi zu ihrem eigenen.
- Drittens gehören sie häufig zu denjenigen, die am schnellsten wissen, was zu tun ist. Aufgrund dessen kämpfen sie in Krisensituationen oft an vorderster Front.
Was Hochsensible Helfer beachten müssen
Die Gefahr dabei ist, dass das alles einen Preis hat: Es funktioniert nämlich nur, wenn man seine eigenen Gefühle in den Hintergrund drängt, und zwar nicht nur die Gefühle von Ermüdung und Erschöpfung, sondern auch die Emotionen, die man als Beteiligter an einer Krisensituation wie alle anderen durchmacht. Vorübergehend kann das zwar Sinn machen, doch viele Hochsensible Menschen gewöhnen sich eine solche Haltung an. Und das führt langfristig gesehen zum Zusammenbruch, da niemand auf die Dauer ein solcher Übermensch sein kann.
Hochsensible Helfer müssen deshalb darauf achten, dass sie ihre Gefühle von Trauer, Verzweiflung etc. in schwierigen Situationen nicht übergehen, sondern sich zumindest im Nachhinein den Raum geben, diese zu verarbeiten. Dafür benötigen sie dann nämlich mehr Zeit als andere, und die sollte man auch gezielt einplanen.
Eine Möglichkeit, Emotionen, die man in Notlagen hintangestellt hat, zu verarbeiten, ist EFT Emotional Freedom Techniques. Wenn man die emotionalen Verarbeitungsprozesse abgeschlossen hat, sollte man sich Zeit für Entspannung und Regeneration nehmen. Hier im Blog habe ich bereits einige Artikel zu diesem Thema geschrieben, z.B. Meditation für Hochsensible und Der Bodyscan – entspannen und Grenzen finden.
Es ist gerade für Hochsensible Menschen wichtig, stets daran zu denken, ein Mensch mit begrenzten Möglichkeiten zu sein. Das Maß der Dinge ist nicht, was objektiv getan werden müsste, um die Situation zu retten, sondern was man als Einzelner tatsächlich bereit und in der Lage ist zu tun. Bitte achte also auf Dich, denn Du bist kein Engel mit überirdischen Kräften, sondern ein Mensch.
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